Lohnforderungen von über 3 Prozent sind in der Schweiz ungewöhnlich. Doch dieses Jahr fordern alle Gewerkschaften mindestens den Teuerungsausgleich. Travail Suisse legte bereits Anfang Woche dar, wieso die Löhne zwischen 3 und 5 Prozent steigen müssten, und auch die Baugewerkschaft Unia fordert jetzt den Teuerungsausgleich plus 1 Prozent.
Das eine zusätzliche Prozent entspreche in etwa dem durchschnittlichen Produktivitätsfortschritt pro Jahr, erklärt Nico Lutz, Leiter Bau von Unia. Bei der aktuellen Teuerung von 3.4 Prozent sind das 4.4 Prozent.
Das zusätzliche Prozent entspricht in etwa dem durchschnittlichen Produktivitätsfortschritt pro Jahr.
Die Gewerkschaften sind unter Druck. Eine Nullrunde darf es aus Gewerkschaftssicht dieses Jahr nicht geben, sonst sinken die Löhne real. Aber auch für die Arbeitgeber ist die Situation neu.
Anspruchsvolle Verhandlungen
«Teuerungen in dieser Grössenordnung machen Lohnverhandlungen anspruchsvoller», stellt der Direktor des Arbeitgeberverbandes, Roland Müller, fest. Grundidee insbesondere der Arbeitnehmerseite sei es, mindestens die Teuerung auszugleichen.
Das müsste für die Arbeitgeber doch aber auch klar sein, findet Lutz. Die Löhne müssten für alle steigen, sonst könnten sie sich mit ihren Einkommen weniger leisten. Lutz fordert darum generelle Lohnerhöhungen plus eine Beteiligung am Produktivitätsgewinn: «Die Löhne müssen generell steigen, denn das Leben wird für alle teurer. Sonst erleiden insbesondere die unteren Einkommen einen Kaufkraftverlust.»
Arbeitgeber: abhängig von Unternehmen oder Branche
Generelle Lohnerhöhungen seien überprüfbar, zudem könne man nur so verhindern, dass jene mit kleinen Einkommen weiter abgehängt würden, betont Lutz.
Bei Teuerungen in der aktuellen Grössenordnung wird es einen generellen Anteil geben.
Anders als in anderen Jahren zeigt der Direktor des Arbeitgeberverbands Verständnis: «Bei Teuerungen in der aktuellen Grössenordnung wird es einen generellen Anteil geben. Insbesondere auch im Tieflohnbereich, um die Kaufkraft zu erhalten. Wie hoch das sein wird, ist nicht nur eine Frage der aktuellen Teuerung, sondern eben auch der Möglichkeiten des Unternehmens oder der Branche.»
Und bei diesem Punkt ist es dann auch schon vorbei mit der Einigkeit: Müller findet, das müssten die Unternehmen selbst entscheiden können. Schliesslich seien nicht alle gleich gut durch die Pandemie gekommen. Und obwohl aktuell verschiedenste Branchen boomten, gebe es auch Anzeichen für schlechtere Zeiten.
Sind Forderungen von 5 Prozent überrissen?
Als Beispiele nennt Müller die unsichere Energieversorgung und die schwächelnde Wirtschaft in den USA und China. Forderungen von bis zu 5 Prozent seien darum überhöht.
Lutz widerspricht: «Würde man eine generelle Lohnerhöhung im Bereich von 5 bis 10 Prozent fordern, könnte man dieses Argument gelten lassen. Geht es aber um den Ausgleich der Teuerung, ist das kein Treiber für die Rezession.» In vielen Branchen laufe es aktuell sehr gut, zudem müssten sie sich um Fachkräfte bemühen.
In vielen Branchen läuft es aktuell sehr gut. Zudem müssen sie sich um Fachkräfte bemühen.
Beispiel Gastronomie
In der Gastronomie haben sich die Vertragspartner bereits geeinigt: Die Teuerung wird für alle ausgeglichen, und es gibt für verschiedene Gruppen eine zusätzliche Lohnerhöhung. Müller findet das ein gutes Beispiel dafür, wie die Arbeitgeber Hand böten. Lutz beschreibt es als ersten Erfolg. So könnte es auch in anderen Branchen laufen.