Gerechnet hat Piri ein ganzes Arbeitsleben lang. Die Rentnerin aus Budapest war Buchhalterin. Jetzt muss sie wegen der hohen Lebensmittelpreise auch bei jedem Einkauf im Supermarkt rechnen. «Ich suche Rabatte und schnalle den Gürtel so eng es eben geht.»
In ihrem Einkaufskorb liegen eine Pouletbrust und Sonnenblumenöl – zwei der Grundnahrungsmittel, deren Preis die ungarische Regierung auf dem Niveau von Oktober 2021 eingefroren hat. Piri sagt: «Diese eingefrorenen Preise helfen zumindest ein wenig.»
Ein Drittel des Einkommens für Lebensmittel
Auch Kristian kommt nur knapp über die Runden. Mehr als ein Drittel seines Einkommens gibt der 47-jährige Familienvater für Lebensmittel aus. Der Hauswart sagt: «Ich weiss nicht, wie man mit den heutigen Löhnen in Ungarn diese Preise bezahlen soll. Die von der Regierung verordneten Fixpreise ändern daran gar nichts. Die Läden erhöhen doch einfach die Preise der anderen Produkte.»
«Schön wär’s», findet Katalin Neubauer, die Präsidentin des Verbands der ungarischen Detailhändler. «Aber das geht nicht. Bei allen anderen Produkten gibt es einen Wettbewerb.» Da könnten einzelne Läden nicht einfach die Preise erhöhen.
«Die eingefrorenen Preise für Grundnahrungsmittel sind vor allem für kleinere Geschäfte ein Problem», sagt Neubauer. Die hätten sowieso kleine Margen. Wenn sie jetzt auch noch Produkte zu Preisen verkaufen müssten, die ihre Kosten nicht deckten, dann bedrohe das ihre Existenz.
Mit fixen Preisen die ärgste Not lindern
Die ungarische Regierung sagt, die Preisdeckel seien nötig, um ärmeren Leuten allzu viel Leid zu ersparen. Auch die Vertreterin der Detailhändler findet das eine gute Idee. Nur: «Dass alleine der Detailhandel die Kosten tragen muss, ist sehr schwierig.»
Die Produzenten der Grundnahrungsmittel dürfen ihre Preise nämlich erhöhen. Doch die Lebensmittelhändler dürfen diese Erhöhungen nicht an ihre Kundschaft weitergeben. Auch Subventionen von der Regierung bekommen sie nicht; dafür die Verpflichtung, die Produkte mit den eingefrorenen Preisen jederzeit anzubieten.
«Die Fixpreise sind ein Wahlgeschenk»
Péter Ákos Bod, der frühere Chef der ungarischen Nationalbank, glaubt nicht, dass die Fixpreise die Not der Bevölkerung wirklich lindern. Sie verzerrten nur das Preisgefüge und schadeten letztlich der Wirtschaft.
«Die Fixpreise sind vor allem ein Geschenk von Viktor Orban an seine Wählerschaft», sagt der regierungskritische Ökonom. «Die Inflation war schon vor den Wahlen letztes Jahr ein Problem für die ungarische Regierung.»
Das stimmt. Orban schiebt die Schuld für die steigenden Preise zwar einzig auf die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland. Aber eingeführt hat er die Fixpreise, noch bevor Russland die Ukraine angegriffen hat.
Ein wesentlicher Grund dafür, dass die Preise in Ungarn im letzten Jahr so stark gestiegen sind wie nirgendwo sonst in Europa, sieht Bod in der Industriepolitik Orbans: «Die hat unsere Situation in den letzten zehn Jahren verschlimmert.»
«Wie soll das gehen?»
Die Förderung grosser Fabriken, die Autos, Kühlschränke oder Reifen herstellen, habe dazu beigetragen, dass die ungarische Wirtschaft extrem viel Energie verbrauche und völlig abhängig sei von russischem Gas. Dieses Gas ist inzwischen viel teurer als früher. Das ist ein wesentlicher Grund für die rasante Steigerung der Lebensmittelpreise in Ungarn.
Die Folgen zeigen sich im Supermarkt in Budapest auf dem Kassenzettel der Pflegefachfrau Ildiko. Sie zerknüllt ihn und erzählt von ihren Zukunftssorgen.
«Die Preise werden weiter nach oben klettern; nicht nur für Lebensmittel», ist die 30-Jährige überzeugt. «Auch die Mieten werden immer teurer.»
Die Mutter einer achtjährigen Tochter weiss nicht, wie sie dieses Leben noch bezahlen soll. Schon heute haben sie und ihr Mann zwei Jobs. Ildiko putzt nach der Arbeit im Spital Wohnungen und Büros. Noch mehr arbeiten: Das gehe nicht.