Die Börse jubelt, weil die Inflation in den USA zurückgeht. Viele hoffen nun, dass es bald vorbei sei mit den rigorosen Zinserhöhungen der Notenbanken, um die Preissteigerungen in den Griff zu bekommen. Diesen Optimismus teilt Marc Brütsch, Chefökonom des Versicherungskonzerns Swiss Life.
SRF News: Ist dieser Optimismus gerechtfertigt?
Marc Brütsch: Die USA sind in der günstigen Situation, dass die Energiepreise bereits deutlich rückläufig sind. Man bezahlt weniger an der Tankstelle als amerikanischer Autofahrer und entsprechend besteht weniger Druck für die Notenbank, jetzt weiter auf die Bremse zu treten.
Die Situation ist in Europa anders. Da bleibt die Versorgungssicherheit mit Energie über den kommenden Winter hinaus das grosse Fragezeichen.
Aber es ist immer noch Krieg in der Ukraine. Ein nächster Energiepreisschock könnte kommen.
Die Situation ist in Europa anders. Da bleibt die Versorgungssicherheit mit Energie über den kommenden Winter hinaus das grosse Fragezeichen. Entsprechend ist damit zu rechnen, dass die Energiepreise mindestens so hoch bleiben, wie sie es gegenwärtig sind, mit einem Risiko nach oben. Dieses Risiko zeichnet sich für die USA nicht ab.
In Europa dauert also alles etwas länger?
In Europa wird die Inflation hartnäckig höher bleiben. Wir gehen allerdings auch davon aus, dass die Energiepreise jetzt stabil bleiben und dass der Höhepunkt der Inflationsrate für die Eurozone im ersten Quartal des kommenden Jahres überschritten sein wird.
Wir werden in Europa einer Rezession nahekommen.
Die Europäische Zentralbank hat lange mit Zinserhöhungen gezögert. Nun muss sie nachbessern. Ruft das einen Abschwung hervor in Europa, in der Eurozone?
Das ist so. Dies ist der Preis der Bekämpfung der hohen Inflationsraten. Es gibt eine Tendenz zu einer Rezession. In manchen Regionen Europas zeichnet sich bereits eine Rezession ab.
Man sagt, in Deutschland gäbe es eine Rezession.
In Deutschland wird die Rezessionswahrscheinlichkeit als besonders hoch veranschlagt. Es gibt auch Daten aus der Realwirtschaft, die dies bestätigen. Das Gleiche gilt für das Vereinigte Königreich.
Und die Schweiz? Bekommt die Nationalbank die Inflation noch rechtzeitig in den Griff, ohne dass es einen Wirtschaftsabschwung gibt?
Auch in der Schweiz ist die Inflation höher, als dies von der Nationalbank angestrebt wird. Deswegen begegnet die Nationalbank auch der höheren Teuerung mit einer Normalisierung der Geldpolitik.
Der Nationalbank kommt zur Hilfe, dass der Schweizer Franken aufgewertet hat gegenüber dem Euro.
Der Nationalbank kommt zur Hilfe, dass der Schweizer Franken aufgewertet hat gegenüber dem Euro. Wir importieren weniger Inflation. Deswegen liegt unsere Inflationsrate gegenwärtig deutlich tiefer als in Ländern der Eurozone oder in den USA.
Trotzdem: Die Konsumentinnen und Konsumenten spüren hierzulande die Teuerung. Und es kommt noch einiges auf sie zu, höhere Mieten zum Beispiel. Kommt die Schweiz dennoch mit einem blauen Auge davon?
In der Schweiz gibt es die Besonderheit, dass gewisse Faktoren erst im kommenden Jahr in die Preisbemessung einfliessen. Auch die höheren Strompreise zu Beginn des nächsten Jahres und – mit Verzögerung – die Mieten sind so ein Fall.
In der Schweiz wird der Rückgang der Inflationsrate nicht so schnell gehen wie in den USA.
Deswegen wird der Rückgang der Inflationsrate in der Schweiz nicht so schnell gehen wie in den USA. Auch in der Schweiz wird der Preis sein, dass die Haushalte einen realen Kaufkraftverlust feststellen müssen.
Das Gespräch führte Jan Baumann.