Im Golf von Mexiko liegt der russische Öltanker Concord vor Anker. Welchen Hafen er ansteuern soll, ist unklar. Zurzeit will niemand die Ladung russischen Erdöls aufnehmen. Kein Einzelfall, sagt Christof Rühl von der Columbia University.
«Die Versicherungen sind verunsichert und versichern keine russischen Schiffe mehr. Die Raffinerien sind verunsichert und versuchen, russisches Öl zu substituieren.» Das habe die russischen Erdölexporte einbrechen lassen, so Rühl. «Das hat zum Preisauftrieb beigetragen, ohne dass die Ölexporte selbst sanktioniert worden sind.»
Abkehr von Handel mit Russland
Der Westen hat aber harte Finanzsanktionen gegen Russland ergriffen, mit denen die Händler offenbar nicht gerechnet hatten. Es sei erwartet worden, so der Experte, «dass Leute in unsicheren Zeiten wie diesen Öl horten und dadurch die Preise steigen. Was hingegen passiert ist, ist, dass viele Ölländer, die durch die Finanzsanktionen verunsichert worden sind, nun einfach versuchen, kein russisches Öl mehr zu handeln.»
Die Sanktionen sorgen also mit für neue Preissteigerungen. Auch Russland sei davon offenbar überrascht worden, glaubt Rühl, der für die Weltbank in Russland gearbeitet hat, aber auch für den Erdölkonzern BP, und nun an der Columbia University lehrt. «Der ursprüngliche Plan Russlands beinhaltete, dass man ein Druckmittel in der Hand habe.» Jenes, dass man die Ölexporte um 10 Prozent einschränken, den Preis durch die Decke jagen und damit den Westen in eine Krise treiben könnte.
«Das ist jetzt entscheidend erschwert, wenn nicht vielleicht sogar verhindert worden, dadurch, dass die finanziellen Mittel einfach nicht mehr da sind», so Rühl. «Langfristig bedeutet das: Russland wird abhängig sein von seinen ganzen Exporten und kann es sich nicht erlauben, diese herunterzuschrauben.»
Es wird sich ein neuer, lukrativer Markt entwickeln für jene, die bereit sind, diese Finanzintermediation zu übernehmen.
Ein möglicher Ausweg wären verstärkte Lieferungen nach China, Indien und in den pazifischen Raum. «Man kann erwarten, sobald sich der Staub ein bisschen legt, dass ein Teil des Öls wahrscheinlich über China verschifft wird.» Es werden Wege gefunden werden, ist Rühl überzeugt. «Und es gibt die Möglichkeit, dass andere Händler und Versicherer einspringen. Es wird sich ein neuer, lukrativer Markt entwickeln für jene, die bereit sind, diese Finanzintermediation zu übernehmen.»
China ist Abnehmer eines Drittels
Dass sich das russische Erdöl neue Wege sucht, erwartet auch Energieexpertin Cornelia Meyer. «Über 30 Prozent des russischen Erdöls geht jetzt schon nach China. Das ist viel mehr als noch vor zehn Jahren.» Und sie ergänzt lakonisch: «China, Indien und so weiter werden da weniger zimperlich sein. Und die brauchen ja schliesslich auch Öl.» Meyer arbeitete lange für internationale Erdölfirmen und ist nun als Beraterin für verschiedene Organisationen im Energiebereich tätig.
Am Mittwoch hat die Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) zusammen mit Russland und weiteren Alliierten wie Kasachstan in der sogenannten Opec-Plus-Runde virtuell getagt. Dabei wurde beschlossen, die Fördermengen im gleichen Mass wie vor dem Ukraine-Krieg zu erhöhen.
«Sie hat im letzten August entschieden, dass man jeden Monat 400'000 Fass mehr fördern soll, um wieder auf die Fördermengen von vor der Pandemie zurückzukommen», weiss Meyer. Ohne Russland aber wird man die Förderung kaum wie geplant erhöhen können. Denn es gibt nur wenige Länder mit ungenutzten Förderkapazitäten. Russland setzt also weiterhin mit am Tisch und wird im globalen Erdölgeschäft wichtig bleiben – trotz aller Turbulenzen.