Firmen verlagern seit Jahrzehnten Arbeitsplätze in günstigere Länder. Neu ist, dass mit Corona viel mehr Arbeiten von zu Hause aus erledigt werden. Das mache eine Verlagerung möglicher, sagt der US-Ökonom Richard Baldwin.
Baldwin lehrt am Institut für Internationale Studien und Entwicklung der Universität Genf und ist einer der weltweit führenden Forscher, wenn es um Globalisierungsfragen geht. «Ich sehe Corona als eine Art Orchesterdirigentin. Das Virus hat den Firmen und Angestellten den Takt bei der digitalen Transformation vorgegeben und dafür gesorgt, dass alle mitspielen müssen.»
Vieles, was vorher undenkbar gewesen ist, ist jetzt Normalität. Die digitale Infrastruktur funktioniert und Teams sind geübt darin, dezentral an Projekten zu arbeiten und virtuell miteinander zu kommunizieren. Das könne Firmen auf die Idee bringen, weitere Arbeitsplätze in billigere Länder zu verlagern.
Lokale Kenntnisse bleiben gefragt
Vor allem jetzt, da viele Unternehmen wegen Umsatzeinbussen sparten, sagt Baldwin. Ein Szenario, das gerade für ein Land wie die Schweiz, wo die Lohnkosten extrem hoch sind, ein Risiko darstellt. Doch er differenziert: Es werde zwar zu Verlagerungen kommen, aber nicht im grossen Stil.
«Nur weil jemand, der sonst im Büro in Zürich arbeitet, nun auch von seinem Ferienhaus aus arbeiten kann, heisst das nicht, dass seine Arbeit so einfach von jemand anderem in Indien gemacht werden kann», sagt Baldwin. «Die Person kennt das Team, die Schweizer Kultur und den lokalen Markt.»
Bei vielen Bürojobs müsse eine Angestellte Lebensumstände, Sprache und Alltagstätigkeiten der Kundschaft kennen. Deshalb glaubt er, dass Verlagerungen Grenzen haben und es in der Schweiz keinen massiven Stellenexport geben wird. Nichtsdestotrotz rechnet der Ökonom mit einschneidenden Veränderungen am Arbeitsmarkt.
Nur weil jemand, der sonst im Büro in Zürich arbeitet, nun auch von seinem Ferienhaus aus arbeiten kann, heisst das nicht, dass seine Arbeit so einfach von jemand anderem in Indien gemacht werden kann.
Er schätzt, dass Firmen in Zukunft vermehrt mit Freelancern arbeiten werden, anstatt auf unbefristete Arbeitsverträge zu setzen. «Mit Corona ist die Zusammenarbeit mit Freelancern für Firmen einfacher geworden. Wegen Corona haben viele Unternehmen ihre IT-Infrastruktur ausgebaut. Sie sind nun gerüstet für virtuelle Teams und ortsunabhängiges Arbeiten.»
Freelancer-Vermittlungen boomen
Der Erfolg von Freelancer-Vermittlungs-Plattformen bestätigt die Einschätzung des Ökonomen. Die bekannte Plattform Upwork zum Beispiel hat ihren Umsatz im letzten Jahr weltweit um fast 30 Prozent gesteigert, die Konkurrenz-Plattform Fiverr sogar um fast 90 Prozent. Bei Upwork zum Beispiel verlangt ein Logo-Designer aus Osteuropa gut 20 Franken pro Stunde, eine Webentwicklerin gut 40 Franken.
In der Schweiz kosten diese Dienstleistungen ein Mehrfaches dessen. Die Verlagerung kommt also vielleicht nicht im grossen Stil. In gewissen Branchen dürften ausländische Freelancer aber den Druck auf Schweizer Stellen deutlich erhöhen, wie zum Beispiel im Grafik- oder im Webbereich, wo Aufträge relativ einfach von woanders aus erledigt werden können.