Darum geht es beim Prozess: Die Dimension von Wirecard ist enorm. Tausende Anleger wollen klagen, es sind Millionen von Seiten Papier, die Richter sichten müssen. Das Musterverfahren zur Klage eines Anlegers wird quasi stellvertretend für alle klagenden Aktionäre geführt. Es geht um die Vereinfachung des Prozesses. Solange das Musterverfahren dauert, sind andere Klagen ausgesetzt. Insgesamt sind im Musterprozess 8500 Kläger vertreten, die 750 Millionen Euro Wiedergutmachung für ihre Kursverluste fordern.
So stehen die Chancen für die Anleger: Ein Urteil wird frühestens in drei Jahren erwartet. Inhaltlich lässt sich nicht abschätzen, wie das Urteil herauskommt. Die Klage richtet sich auch gegen die Rechnungsprüfungsgesellschaft EY, welche die Bücher von Wirecard prüfte. Die Anleger argumentieren, dass sie durch EY vorsätzlich in die Irre geführt worden waren. EY weist die Schadenersatzforderung als unbegründet zurück.
Darum ist die Tragweite gross: Der Fall Wirecard zählt zu den grössten Wirtschaftskriminalfällen, die es in Deutschland je gab. Wirecard war ein renommiertes Finanztechnik-Unternehmen, ein Vorzeigeunternehmen und ein Teil des deutschen Leitindexes Dax. Aber Wirecard entpuppte sich als Kartenhaus. Manager hatten 1.9 Milliarden Euro Umsatz erfunden. Die Pleite kam schnell und für viele unerwartet. Die Aktie war zeitweise 200 Euro wert, nach der Pleite nur noch wenige Cents. Wirecard erzählt darum auch eine Geschichte von steilem Aufstieg und tiefem Fall.
Das sind die mutmasslichen Drahtzieher: Seit Ende 2022 laufen Strafprozesse, unter anderem gegen Markus Braun, den damaligen Chef, sowie weitere Manager. Ihnen wird Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Bandenbetrug und Untreue vorgeworfen. Zu Brauns engsten Vertrauten zählt auch Jan Marsalek, die Nummer zwei der Geschäftsleitung. Er ist bis heute verschwunden und wird in Russland vermutet, unter neuer Identität. Er soll in Spionagetätigkeiten verwickelt sein. Das zivilrechtliche Musterverfahren, das ab heute geführt wird, läuft getrennt von den Strafprozessen.
Ein Fall wie ein Krimi: Aufgedeckt wurde der Fall von einem Journalisten der Financial Times. Er berichtete erstmals 2015 unter dem Titel «House of Wirecard», in Anspielung auf die US-Serie «House of Cards». 2020 musste Wirecard Insolvenz anmelden. Es geht aber nicht nur um verlorene Milliarden, sondern auch um Behörden und Rechnungsprüfer, die der Unternehmensführung zu lange vertrauten. Wegen der Verbindungen zur Politik und dem Abtauchen eines ehemaligen Wirecard-Managers (Jan Marsalek) nach Russland hat der Fall eine politische Dimension.