Es ist eng im Abteil von Marleen Hengeveld. Die Niederländerin reist öfter mit dem Nachtzug aus der Schweiz in ihre Heimat – und hat schon vieles erlebt: «Einmal fiel unser Schlafwagen aus. Wir mussten uns die ganze Nacht mit einem Sitzplatz begnügen.» Trotzdem bleibt sie dem Nachtzug treu. «Es ist romantisch und besser für die Umwelt als das Flugzeug.» Kurz nach 23 Uhr fährt der Zug in Basel ab – und Marleen Hengeveld versucht zu schlafen.
SBB sieht Handlungsbedarf
Unter Bahnexperten gilt der Nachtzug nach Amsterdam als «Problemzug». Betrieben wird er von der SBB in Kooperation mit der Österreichischen Bundesbahn ÖBB. Das angemietete Rollmaterial ist veraltet und störungsanfällig. Es fehlen Ersatzteile, deshalb fallen immer wieder Schlafwagen aus. Auch in dieser Nacht fehlt ein Wagen. Robér Bormann, Projektleiter Nachtverkehr bei der SBB, kennt das Problem: «Wir sind damit überhaupt nicht zufrieden und entschuldigen uns bei allen Reisenden.»
Kurz vor Mitternacht brennt in einem Liegewagen-Abteil noch Licht. Sechs Jugendliche lernen sich hier gerade kennen. Student Nathan Soer nutzt die Verbindung regelmässig. «Ich mache jedes Mal schlechte Erfahrungen. Zuletzt hatte ich sechs Stunden Verspätung.» Die anderen Jugendlichen sind erstaunt. «Ich hatte bis jetzt mehr Probleme mit dem Flugzeug als mit dem Zug.» Der ökologische Gedanke spielt für die jungen Passagiere eine wichtige Rolle: «Es gibt gute Zugverbindungen, sodass man nicht das Flugzeug nehmen muss.»
Tatsächlich erlebt das Reisen im Nachtzug derzeit eine Renaissance. Die SBB verzeichnete mit 600'000 Passagieren im letzten Jahr einen neuen Rekord. Die Schweizer Politik will Nachtzüge und weitere internationale Zugverbindungen dank des neuen CO₂-Gesetzes mit jährlich 30 Millionen Franken subventionieren. Im Vergleich zum Flugzeug fallen Nachtzüge aber kaum ins Gewicht. Gemäss den LITRA-Verkehrszahlen 2022 reisten 1.4 Millionen Passagiere mit dem Flugzeug aus der Schweiz nach Amsterdam.
Comeback gefährdet?
Frühmorgens trifft der Nachtzug in Köln ein – mit bereits 40 Minuten Verspätung. Hier steigt Niklas Hoth zu. Der Journalist und Bahnkenner nutzt den Nachtzug in die Schweiz mehrmals im Jahr. Bei seiner letzten Reise im Februar fiel ein Schlafwagen aus. «Diesen Zug gibt es jetzt seit über zwei Jahren und seit zwei Jahren gibt es immer wieder diese Probleme.» Er sieht dadurch das Comeback der Nachtzüge gefährdet. «Man vergrault viele Fahrgäste. Für die Verkehrswende ist das keine gute Nachricht.»
SBB-Nachtzugchef Robér Bormann räumt ein: «Es gibt Kunden, die abspringen. Wir haben jedoch auch ganz viele Neukunden.» Bormann spricht von einem Bewusstseinswandel. Das Bedürfnis nach umweltfreundlichem Reisen sei gross. Er sieht jedoch den Handlungsbedarf. «Wir arbeiten sehr intensiv mit allen Partnern in Europa zusammen und stehen erst am Anfang. Es wird noch etwas Zeit brauchen.» Tatsächlich soll erst 2026 neues Rollmaterial auf der Strecke nach Amsterdam eingesetzt werden.
Abenteuer Nachtzug
Kurz nach der niederländischen Grenze wird das Frühstück serviert. Student Nathan Soer macht ein Foto vom Sonnenaufgang: «Die Nacht war soweit gut. Wir haben uns bis spät in die Nacht unterhalten.» Marleen Hengeveld hat dagegen nicht gut geschlafen. «Ich bin keine gute Schläferin», sagt sie. «Es war kalt und lärmig.» Trotzdem wird sie wieder mit dem Nachtzug fahren. Die Reise durch die Nacht sei jedes Mal wieder ein Abenteuer.