Jahr für Jahr untersucht und dokumentiert der deutsche Energieexperte und Berater Mycle Schneider mit einem internationalen Team, wie sich die Nutzung der Kernkraft weltweit entwickelt.
Der neuste Bericht zeigt eine sinkende Tendenz auf: Die Zahl der laufenden AKW ist innert Jahresfrist um vier gesunken, die Stromproduktion um vier Prozent. Der Marktanteil des Atomstroms ging weltweit auf noch gut neun Prozent zurück.
The World Nuclear Industry Status Report 2023
Das sei ein dramatischer Rückgang, ähnlich wie nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, sagte Schneider bei der Vorstellung des Berichts.
Hohe Kosten, technische Probleme in Frankreich
Die Gründe dafür lägen in erster Linie in den hohen Planungs- und Baukosten, die in vielen Fällen zu Verzögerungen oder gar zum Abbruch von AKW-Projekten führten. Aber es liegt etwa auch an grossen Produktionsausfällen in Frankreich, weil dort etliche AKW wegen Unterhaltsarbeiten stillstanden.
«Anfang 2022 war für das Jahr angekündigt worden, dass 16 neue Reaktoren ans Netz gehen sollen. Am Ende des Jahres waren es aber bloss deren sieben», so Schneider. So ist etwa der neuartige Druckwasserreaktor im französischen Flamanville verspätet. Er soll gemäss derzeitiger Planung nun 2024 ans Netz gehen.
Hoffen auf neuartige, kleinere Reaktoren
Auch Lukas Aebi vom atomfreundlichen Schweizer Nuklearforum bestreitet nicht, dass die Atomkraft an Terrain verliert. Er weist darauf hin, dass die Stromproduktion aus Kohle und Gas weltweit dominierend sei – und weiter wachsen werde, anstatt dass man auf die weniger klimaschädliche Atomenergie setze. «Das ist bedenklich», so Aebi.
Die Kernenergie habe durchaus noch Entwicklungspotenzial, so der Vertreter des Nuklearforums. Grosse Hoffnungen setzt er nach wie vor auf neue, kleine, modulare Reaktoren, die sogenannten SMR. Und dies, obwohl gerade erst vor ein paar Wochen das am weitesten fortgeschrittenen SMR-Projekt in den USA gestoppt wurde. «Das hatte aber nicht mit der Technologie zu tun, sondern mit steigenden Zinssätzen und der Inflation», betont Aebi.
Die hohen Kosten für nukleare Anlagen und damit für den Strom, den sie dereinst produzieren sollen, sind auch in der Schweiz ein wichtiger Diskussionspunkt. Dennoch begrüsst es Aebi, dass auch hierzulande überhaupt wieder über längere AKW-Laufzeiten oder gar den Bau neuer Reaktoren diskutiert wird.
Dies ermögliche eine technologieoffene Planung für die Energiezukunft der Schweiz unter Berücksichtigung der Klimapolitik. «Das ist ein wichtiger Schritt für die Zukunft.»
Neue AKW allenfalls erst in Jahrzehnten
Atomstrom statt erneuerbare Energien sei der falsche Ansatz, sagt hingegen Markus Unterfinger von der atomkritischen Schweizerischen Energiestiftung. Sie hat Schneiders Bericht übrigens mitfinanziert.
«Entweder investiert man jetzt in erneuerbare Energien, die verfügbar und kostengünstig sind sowie sehr schnell Ergebnisse liefern – oder man investiert in eine Technologie, die 20 Jahre Bauzeit benötigt», so Unterfinger. Denn das Geld könne man nur einmal ausgeben.
Den Fünfer und das Weggli gibt es nicht. Auch nicht in der Energiepolitik.