Die Bilder von Plastikabfällen im Meer gingen Marcel Meister nicht mehr aus dem Kopf. Wäre das vielleicht sogar ein Rohstoff, aus dem sich Textilien machen liesse?
Rund drei Jahre hat Unternehmer Marcel Meister gebraucht, bis aus der Idee ein fertiges Produkt wurde. Es sind Seile und Schnüre «für tausendundeine Anwendung», wie Meister sagt. An der Küste von Thailand wird der Plastik gesammelt und sortiert. In der Schweiz wird er aufbereitet, zu neuen Fasern ausgesponnen und in Hasle-Rüegsau/BE zu neuen Seilen verarbeitet.
Dort steht der Familienbetrieb Meister. Marcel Meister führt ihn in der 6. Generation. Das ist keine Selbstverständlichkeit – nach allem, was das Unternehmen durchgemacht hat.
Rund 40 Mitarbeitende beschäftigt Meister. Es waren früher mal mehr, es waren aber auch schon weniger. «Wenn ich in die Geschichtsbücher der Firma schaue, dann gab es laufend Krisen», sagt Marcel Meister.
Die beiden Weltkriege, die Erdölkrise, grosse Auftraggeber wie die Schweizer Armee, die sich innert kurzer Zeit verabschiedet haben – das alles setzte der Firma zu. Und doch gibt es sie noch immer. Eher die Ausnahme, statt die Regel.
Andere Traditionsbetriebe haben es nicht geschafft. Im 18. und 19. Jahrhundert noch die Hochblüte der Industrie, erlebte die Textilbranche in der Schweiz einen beispiellosen Niedergang. Fast 300'000 Angestellte arbeiteten früher in der Branche, heute sind es noch rund 15'000.
Grund für den dramatischen Rückgang war die Konkurrenz aus Asien, die Stoffe, Garne und andere Textilien günstiger produziert. Der Preisdruck war für viele Schweizer Unternehmen zu gross. Sie haben es, anders als die einstige Seilerei Meister, nicht geschafft, sich mit neuen Angeboten und besserem Material zu verankern.
Die Textilbranche ist ein spezieller Fall.
Zwar bekamen auch andere Branchen die Billigkonkurrenz aus Asien zu spüren. Doch keine war dem Kampf so ausgeliefert wie die Textilindustrie. «Die Textilindustrie ist ein spezieller Fall», sagt denn auch Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann.
Günstige Arbeitskräfte nötig
Um mit der Produktion zu beginnen, braucht es nicht mehr als Maschinen und Arbeiter, die zu günstigen Löhnen arbeiten. «Für viele Schwellenländer war das ein Segen», so Straumann. Auch die Schweizer Textilindustrie wurde im 18. und 19. Jahrhundert unter anderem dank günstiger Arbeitskräfte aus dem Ausland gross.
Doch: War die Zuwanderung und die relativ einfache Infrastruktur nicht auch für andere Branchen Fluch und Segen zugleich? Aus Sicht von Straumann gibt es Unterschiede. Andere Branchen wie die Maschinenindustrie seien von Anfang an diversifizierter gewesen, also breiter aufgestellt.
Zudem waren Pharma und Chemie beispielsweise abhängiger von komplexeren Strukturen, etwa von Forschung und Entwicklung. Damals wie heute. Doch auch die Textilindustrie hat sich gewandelt.
Die Textilindustrie von heute ist vielfältiger. Sie ist eine wichtige Zulieferin von anderen Branchen geworden, etwa der Medizin oder Medizinaltechnik. Mit speziellem Wissen und Verfahrenstechniken hoffen die Unternehmen weiterhin, der Konkurrenz aus Asien die Stirn zu bieten.
Auch Meister, der mit dem Material aus Meerplastik nachhaltige Schnüre und Seile erfunden hat, ist dank seines Erfindergeistes einen Schritt voraus.