Auf der Social-Media-Plattform Tiktok hat sich eine Bücherecke eingenistet. Unter dem Hashtag «Booktok» tauschen sich Jugendliche und junge Erwachsene über ihre Bücher und Leseerfahrungen aus. Diese Bücherecke ist enorm schnell gewachsen und hat bereits einen bestimmenden Einfluss auf Bestsellerlisten.
291 Millionen angeschaute Videos
Josia Jourdan ist Kulturjournalist und selbst seit drei Jahren «Booktoker», er erklärt: «Wenn ich mich für Bücher interessiere und die App öffne, erkennt das Tiktok nach einer Weile und führt mich an Booktok heran.»
Die Bücher, die die Nutzerin oder den Nutzer interessieren könnten, werden sozusagen auf dem Silbertablett serviert. Allein in den letzten zwölf Monaten wurden, laut Tiktok-Statistik, in der Schweiz 21'000 Videos mit dem Hashtag Booktok hochgeladen. Und Videos mit dem gleichen Hashtag wurden in der Schweiz im gleichen Zeitraum rund 291 Millionen Mal angeschaut.
User und Userinnen geben nicht nur Buchtipps. Man filmt sich beim Lesen, beim Kauf neuer Bücher, zeigt das eigene Bücherregal, die Lieblingsbuchhandlung oder gibt Tipps, wie man ein Lesetief überwindet.
Booktok ist fester Bestandteil geworden
Seit April 2023 gibt es eine monatliche Booktok-Bestsellerliste in Zusammenarbeit mit Media Control. Auch auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig war das Unternehmen Tiktok bereits vertreten. Für Booktoker Josia Jourdan ist Booktok kein Trend mehr, sondern bereits eine etablierte Community. Gerade im Hinblick darauf, dass die Bestsellerlisten weltweit durch das Geschehen auf Tiktok beeinflusst werden.
Ein Beispiel ist die US-Amerikanerin Colleen Hoover. Ihre Bücher sind in der Booktok-Community sehr beliebt und sollen gerade durch Tiktok bekannt geworden sein. Allein der Hashtag #colleenhoover erreichte in den letzten drei Jahren weltweit über 4 Milliarden Aufrufe.
Kein Wunder, dass sie 2022 mit über 20 Millionen verkauften Büchern weltweit auch die traditionellen Bestsellerlisten beherrschte.
Glück für den Buchhandel
Der Buchhandel freut sich, denn Booktok bringt auch Jugendliche und junge Erwachsene zurück in die Läden. Viele Buchhandlungen haben bereits Tische und Regale den Booktok-Büchern gewidmet. Für Christine Roth, Kommunikationsleiterin bei Orell Füssli, ist es dennoch keine Überraschung, dass die junge Zielgruppe nach physischen Büchern verlangt. Sie sagt: «Schon auf Instagram war es lange ein Thema, dass man seine Bücherregale und die Bücherfronten fotografiert. Man will das Buch wirklich besitzen, um es auch zeigen zu können.»
Für Christine Roth ist klar, dass die Genres Young Adult und New Romance die typischen Booktok-Bücher sind, hier sieht auch der Buchhändler ein Wachstum von 15 Prozent «in den letzten Jahren».
Josia Jourdan freut sich, dass der Buchhandel mitzieht, findet aber auch kritische Worte: «Ich finde es teilweise gefährlich, weil in den Booktok-Regalen auch Bücher stehen, die gar nicht auf Booktok sind. Ausserdem bezeichnen Verlage Bücher von sich als Booktok-Bücher, die noch gar nicht erschienen sind, also noch nicht gelesen werden konnten. Das ist gefährlich für den Community-Geist».
Orell Füssli schreibt darauf, dies sollte bei ihnen nicht der Fall sein.
Verlag im Schlepptau
Bei den Schweizer Verlagen hingegen ist das Thema noch nicht richtig angekommen. Zwar scheint man sich des Einflusses von Booktok bewusst zu sein, zögert aber noch. Tanja Messerli vom Buchhandels- und Verlagsverband sieht den Grund für das Zögern in der Ausrichtung der Schweizer Verlage. Die Schweizer Verlagswelt publiziere nicht die typischen Genres, die auf der Plattform gut funktionieren.
Der Diogenes Verlag hat bereits seit einem Jahr einen Tiktok-Kanal, bespielt diesen aber noch mit Inhalten, die für andere Plattformen produziert wurden. Der Verlag schreibt: «Seit diesem Jahr steigern wir unsere Aktivitäten auf der Plattform, probieren uns aber vor allem erst einmal aus und nutzen es als Spielwiese.»
Beim Zürcher Verlag Kein & Aber wollte man die Situation zunächst beobachten und analysieren. Nun sind für den Herbst erste Booktok-Marketingaktivitäten geplant. Für Seraina Füllemann, Kommunikations- und Marketingmitarbeiterin bei Kein & Aber, birgt die Präsenz auf Tiktok nicht nur Chancen: «Für uns besteht die Gefahr, dass die Qualität und die inhaltliche Tiefe unserer Bücher durch die Schnelllebigkeit der Plattform verloren gehen».
Für den Verlag ist es wichtig, den richtigen Marketing-Mix für seine individuellen Autorinnen und Autoren zu finden. Dies ist auf Tiktok schwieriger als auf anderen sozialen Plattformen, da die Reichweite der Inhalte nicht von der Grösse des Kanals oder dem Firmenstatus des Kanals abhängt.