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Deutsche Wirtschaft bricht ein
Aus Rendez-vous vom 30.07.2020. Bild: Keystone
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Trotz Rezession «Deutschland ist im Vergleich besser durch die Krise gekommen»

Das Bruttoinlandprodukt Deutschlands ist im zweiten Quartal um über zehn Prozent eingebrochen. Das klinge schlimm, sei es aber nicht unbedingt, sagt Marcel Fratzscher, Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin.

Marcel Fratzscher

Ökonom

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Marcel Fratzscher ist der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin DIW.

SRF News: Wieso klingt diese Zahl schlimm, ist es aber nicht?

Marcel Fratzscher: Wir hatten für das zweite Quartal ein noch schlechteres Quartal erwartet als die minus 10.1 Prozent, die wir jetzt sehen. BIP anderer europäischer Länder – Frankreich, Spanien, Italien – sind wahrscheinlich um die 15, 16 Prozent eingebrochen. Das zeigt also: Deutschland leidet massiv, aber ist vergleichsweise besser durch diese Krise gekommen. Dies auch dank zwei riesiger Konjunkturprogramme, die die Bundesregierung aufgelegt hat.

Ihr Institut rechnet sogar mit einem Wachstum von drei Prozent im nächsten Quartal. Worauf führen Sie das zurück?

Das ist ein gradueller Aufholprozess. Von diesem niedrigen Niveau des zweiten Quartals kommt man jetzt langsam wieder aus dem Loch heraus. Aber ich würde auch hier warnen: Beim dritten Quartal ist es ein zum Teil mechanischer Effekt. Geschäfte öffnen wieder, Restaurants öffnen, Unternehmen produzieren wieder. Das heisst aber nicht, dass es in den nächsten Quartalen dann unbedingt auch weiter so steil bergauf geht.

Im vierten Quartal kann es sogar richtig schlecht werden.

Deutschland offiziell in einer Rezession

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In Deutschland, der grössten Volkswirtschaft Europas, ist die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal um zwei Prozent gesunken. Nun, im zweiten Quartal, sogar um mehr als zehn Prozent. Wenn die Wirtschaftsleistung in zwei Quartalen hintereinander sinkt, sprechen Ökonomen von einer Rezession.

Es ist die tiefste der deutschen Nachkriegsgeschichte. Zum Vergleich: In der Finanzkrise 2009 fiel das Bruttoinlandprodukt (BIP) um knapp fünf Prozent. Nun hofft Deutschland, dass sich die Lage in der zweiten Jahreshälfte auch dank staatlicher Hilfsprogramme bessert. Es gibt bereits ermutigende Anzeichen. Detailhandel und Industrieproduktion haben sich etwas erholt. Ob die deutsche Wirtschaft rasch wieder Tritt fasst, hängt aber vor allem davon ab, ob es zu einer zweiten Coronawelle kommt.

Für die Schweiz ist die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands von grosser Bedeutung. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Für viele Unternehmen, gerade auch kleine und mittelgrosse, ist Deutschland der wichtigste Absatzmarkt, etwa für Zulieferer der deutschen Autoindustrie.

Etwa, wenn die Kurzarbeit ausläuft?

Das, was wir im Augenblick an Wirtschaftsprognosen machen, sind Szenario-Rechnungen. Wir wissen nicht wirklich, was kommen wird. Die Risiken sind enorm. Kommt eine zweite Welle? Wahrscheinlich, ja. Die Frage ist: Wie stark wird sie sein? Wird sie wieder neue Massnahmen, Schliessungen erfordern? Was ist mit dem Finanzsystem? Wie stark wird die Arbeitslosigkeit steigen?

Wir werden uns noch gut zwei, drei Jahre darauf einstellen müssen, bis wir hoffentlich wieder beim Vorkrisenniveau sind.

Ich erwarte einen starken Anstieg von Unternehmensinsolvenzen. Und wenn Unternehmen insolvent gehen, steigt auch die Arbeitslosigkeit weiter, und damit sinkt die Kaufkraft. So gesehen kann es durchaus sein, dass wir im vierten Quartal wieder ein schlechtes Quartal erleben. Wir sollten uns nicht auf eine V-förmige Erholung einrichten, sondern eher auf ein W-förmige, bei der nach dem starken Anstieg auch wieder eine Abschwächung kommt. Die Unsicherheit ist enorm, und wir werden uns noch gut zwei, drei Jahre darauf einstellen müssen, bis wir hoffentlich wieder beim Vorkrisenniveau sind.

Ganz wichtig ist der Export für Deutschland. Was sind da Ihre Prognosen?

Deutschland ist durch die Exportabhängigkeit ähnlich wie die Schweiz sehr hart getroffen. Und in Krisen und Rezessionen geht der Welthandel deutlich stärker zurück als die Binnenproduktion oder die Binnennachfrage, der Konsum und die Investitionen. Und das ist in der Tat meine grosse Sorge. Denn wenn man sich anschaut, was in den USA passiert, dann realisiert man: Die Weltwirtschaft wird wohl noch eine Zeit lang recht schwach bleiben.

Kann Asien die Schwäche in anderen Regionen auffangen, so wie das nach der globalen Finanzkrise der Fall war?

Die Hoffnung ist da, aber ich würde nicht darauf wetten. Viele asiatische Länder, auch China, haben zu kämpfen. Die Exporte werden noch eine Weile schwach bleiben, befürchte ich. Das heisst, es ist umso wichtiger, die Binnennachfrage zu stärken, um die Exportabhängigkeit zu reduzieren.

Das Gespräch führte Peter Voegeli.

Rendez-vous, 30.07.2020, 12:30 Uhr ; 

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