Die Plattformen der grossen internationalen Techkonzerne würden immer mehr zu einem Problem für die demokratische Öffentlichkeit, sagt der Kölner Medienwissenschaftler Martin Andree. Die Reichweite der Plattformen sei mittlerweile derart dominant, dass sie die herkömmlichen Medien weitgehend zu verdrängen drohten. Der Digitalexperte ist am Mittwoch an der Dreikönigstagung des Verbands Schweizer Medien aufgetreten.
Zum Beispiel Elon Musk: Er übernahm Twitter und versprach, dieses zu einem Hort der freien Rede zu machen. Niemand mehr solle ausgeschlossen werden. Bis einige Journalisten auf Twitter die Flugrouten von Musks Privatflugzeug veröffentlichten. Umgehend liess Musk deren Accounts sperren.
Das Beispiel zeigt für Andree, «dass den Plattformen aufgrund der Nutzungsbedingungen und der Gemeinschaftsstandards eine Art virtuelles Hausrecht darüber zusteht, was passiert».
Ob sich Rechtsextremisten, Verschwörungstheoretikerinnen oder Hassprediger auf Twitter äussern dürften oder ob sie gesperrt würden, entscheide letztlich der Besitzer der Plattform.
«Das betrifft nicht nur Sperrungen, die sehr offensichtlich sind», sagt Andree. Nach politischen Gesichtspunkten würden gewisse Themen auf Trending-Listen oder in Suchfunktionen erscheinen. «Die Digitalkonzerne sitzen an den Reglern und können schalten und walten, wie sie wollen.»
«Freie Rede» als Vorwand
Und dies sei ein Problem. Denn Twitter, Facebook oder Google hätten in den letzten Jahren eine riesige Marktmacht aufgebaut, sagt Andree. Er hat vor zwei Jahren die Reichweite und die Nutzungsdauer aller wichtigen Online-Angebote in Deutschland erforscht. Das Resultat: Neun der zehn meistgenutzten Angebote sind Plattformen der Techkonzerne. Einen echten Wettbewerb gebe es nicht, die herkömmlichen Medienhäuser sässen am kürzeren Hebel.
Andrees Fazit: Elon Musk und Co. gehe es gar nicht in erster Linie um die freie Rede, sondern um wirtschaftliche Macht. «Es ist eines der faszinierendsten Narrative der Digitalkonzerne: Sie sprechen seit Jahrzehnten über ‹Freedom of Speech› und haben damit erreicht, dass wir ständig über Medienfreiheit diskutieren. Tatsächlich geht es ihnen aber um regulatorische Freiheit.»
Bundesrat arbeitet an neuer Vorlage
Was tun also gegen die Vormacht der globalen Techkonzerne? Ladina Heimgartner, die Chefin der «Blick»-Gruppe ist und im Vorstand des Verbands Schweizer Medien sitzt, sagt: «Die EU hat mit dem Leistungsschutzrecht wichtige Schritte ergriffen, und ich hoffe sehr, dass die Schweiz nachzieht. Es ist nicht das Ei des Kolumbus. Aber es ist ein Schritt hin zu gleich langen Spiessen – auch im Internet.»
Denn mit dem Leistungsschutzrecht müssten Techkonzerne wie Google oder Meta die Medienhäuser dafür bezahlen, wenn sie deren Inhalte nutzen. Eine Vorlage dazu ist beim Bundesrat hängig. Wann der neue Medienminister Albert Rösti sie vorlegt, ist noch offen.