Herbst 2010: Hans Wanner ist erst seit wenigen Wochen im Amt. In einem seiner ersten Interviews wird er von Radio SRF gefragt, ob bei seiner Pensionierung die neu geplanten AKWs in Betrieb sein würden. Der neue Direktor antwortet: «Nach der heutigen Planung wird's knapp.» Es kommt anders. Am 11. März 2011 führt ein Tsunami zum Reaktorunglück im japanischen Fukushima.
Es war ein Ereignis mit einschneidenden Folgen, bilanzierte Wanner später: «Fukushima war der grösste Einschnitt.» Drei Gesuche für eine Rahmenbewilligung seien damals beim Ensi auf dem Tisch gelegen. Intern sei eine ganze Abteilung mit Ingenieuren aufgebaut worden, die sich mit den neuen Projekten befassten. «Nach Fukushima wollte man aber auf Neubauten verzichten und den Ausstieg vorbereiten.» Plötzlich war nicht mehr die Rede von neuen Kernkraftwerken, sondern vom Ende der nuklearen Ära.
Ensi deckt Mängel auf
Fukushima habe aber auch bei den bestehenden AKWs tiefgreifende Veränderungen ausgelöst, wie der Ensi-Direktor nur wenige Monate nach der Reaktorkatastrophe sagte: «Aus den Fehlern, die gemacht wurden, werden Lehren gezogen. Und basierend auf den Erfahrungen, die man mit dem Betrieb der Kernkraftwerke macht, werden die Anforderungen immer höher.»
Unmittelbar nach Fukushima wollte das Ensi von den Kernkraftbetreibern wissen, wie gut ihre Anlagen bei extremen Hochwassern geschützt sind. Den Nachweis mussten sie innerhalb weniger Wochen vorlegen. Und bald zeigte sich: Es gab Mängel.
-
Bild 1 von 13. Januar 2009: Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) nimmt als öffentlich-rechtliche Organisation seinen Betrieb auf. Zuvor war die Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) beim Bundesamt für Energie angesiedelt. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 2 von 13. September 2010: Hans Wanner (1955) wird neuer Direktor des Ensi. Zuvor war er bereits Abteilungsleiter in der HSK. Wanner tritt die Nachfolge von Ulrich Schmocker an. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 3 von 13. 11. März 2011: Reaktorunglück von Fukushima (Japan) durch einen Tsunami. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 4 von 13. 14. März 2011: Der Bundesrat unter der damaligen Energieministerin Doris Leuthard sistiert die Rahmenbewilligungsgesuche für neue Atomkraftwerke, die 2008 von Alpiq, Axpo und BKW eingereicht wurden. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 5 von 13. 1. April 2011: Als Folge des Unglücks von Fukushima erhalten die Schweizer Kernkraftwerke den Auftrag bis Ende Juni 2011 einen Nachweis zur Beherrschung eines Extrem-Hochwassers zu erbringen. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 6 von 13. Herbst 2011: Publikation der Ensi-Empfehlungen zu Extrem-Hochwassern. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 7 von 13. Oktober 2013: Die BKW entscheidet aus unternehmerischen Gründen das Kernkraftwerk (KKW) Mühleberg per 2019 abzuschalten. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 8 von 13. April 2014: Das Ensi setzt die erste Richtlinie zur Stilllegung von Kernanlagen in Kraft. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 9 von 13. Mai 2017: Annahme des Energiegesetzes durch das Stimmvolk. Der Bau neuer Kernkraftanlagen wird verboten. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 10 von 13. Juni 2018: Das Ensi genehmigt das Stilllegungskonzept der BKW für die Abschaltung des KKW Mühleberg. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 11 von 13. Dezember 2019: Das KKW Mühleberg wird abgeschaltet. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 12 von 13. 24. Juni 2020: Ensi-Ratspräsident Martin Zimmermann tritt nach nur sechs Monaten zurück, weil Zweifel an seiner Unabhängigkeit geäussert wurden. Bildquelle: Ensi/sda.
-
Bild 13 von 13. 30. Juni 2020: Hans Wanner wird als Ensi-Direktor pensioniert. Bildquelle: Keystone.
Das Ensi wurde in dieser Phase von den Kernkraftbetreibern als bissiges Kontrollorgan wahrgenommen, das sehr hohe Anforderungen stellte – auch im internationalen Vergleich. Selbst Atomkritiker attestierten dem Ensi damals ein zupackendes Auftreten.
So führten unter anderem neue Ensi-Anforderungen dazu, dass der Stromkonzern BKW entschied, das Kernkraftwerk Mühleberg abzuschalten – die teuren Nachrüstungen rechneten sich langfristig nicht mehr. Wanner und sein Team betraten fortan Neuland: Sie mussten die Stilllegung eines AKW regeln.
Sandwich-Position des Ensi
Auch als im AKW Beznau 1 im Jahr 2015 Probleme auftraten, habe das Ensi bewiesen, dass es durchgreifen könne, meint Nils Epprecht, Geschäftsleiter der atomkritischen Energiestiftung: «Das Ensi hat teils durchaus Härte demonstriert. Zum Beispiel beim Reaktordruckbehälter von Beznau I, als der Reaktor drei Jahre vom Netz musste. Danach hat das Ensi – von aussen betrachtet – sang und klanglos für die Betreiberin Axpo entschieden.»
Epprecht fehlt die Transparenz. Ein Kritikpunkt, der während all der Amtsjahre immer wieder zu hören war – und automatisch eine gewisse Nähe zur Branche suggerierte. Auch wenn Wanner stets seine Unabhängigkeit betonte.
Das Ensi hat einen gewissen Ermessensspielraum und könnte dominanter auftreten.
Aus Sicht der Schweizerischen Energiestiftung könnte das Ensi den Anschein von Befangenheit ganz einfach ausräumen, meint Epprecht: «Die Aufsicht hat einen gewissen Ermessensspielraum und könnte dominanter auftreten, wie wir es in anderen Ländern wie Belgien, den USA oder Kanada erleben. Diese Möglichkeiten sind noch nicht ausgeschöpft.»
Vertreter der Kernenergie wiederum sind der Ansicht, dass das Ensi bei der Transparenz sehr wohl an die Grenze des möglichen gegangen sei.
Gerne hätten wir mit Hans Wanner über diese Sandwich-Position gesprochen und eine persönliche Bilanz gezogen. Er wollte aber zum Ende seiner Amtszeit kein Interview mehr geben.