Schon heute ernährt die Ukraine laut der Regierung weltweit 150 Millionen Menschen. Doch sie will mehr: Die Landwirtschafts-Produktion soll mehr als verdoppelt werden. Für Agro-Konzerne wie die Basler Syngenta ist das ein grosses Potenzial – zumal bisherige Wachstumsmärkte wie Latein- und Nordamerika schwächeln und einstige Kassenschlager wie das Unkraut-Bekämpfungsmittel Glyphosat sogar in den USA unter Beschuss sind.
Zudem steht das Management des Saatgut- und Pflanzenschutzmittel-Herstellers in der Kritik: Die unerwünschten Avancen von Konkurrent Monsanto riefen Grossaktionäre auf den Plan. Konzernchef Mike Mack gab letzte Woche seinen Rücktritt bekannt.
Ukrainische Bauern zählen auf Maximierung
Gebhard Rogenhofer sieht grosse Absatzmöglichkeiten für Syngenta-Produkte in der Ukraine: «Ich bin überzeugt, dass die Ukraine eines der Länder ist, das uns helfen wird, bis 2050 die wachsende Welt-Bevölkerung ausreichend zu ernähren», sagt Syngentas Länderchef für die Ukraine zu «ECO». Das Land zählt schon heute zu den weltgrössten Produzenten von Getreide, Mais, Soja und Sonnenblumenkernen.
In der Ukraine gibt es keine Konsumenten-Bewegungen gegen giftige Pflanzenschutzmittel oder gentechnisch verändertes Saatgut. Bauern begrüssen alle Mittel, um mehr aus dem Boden zu holen.
Offiziell setzt die Ukraine zwar keine genveränderten Organismen (GVO) ein. Im Interview mit «ECO» sagt Vize-Landwirtschaftsministerin Vladyslava Rutytska: «Wir werden unsere Gesetzgebung vollends mit den EU Anforderungen harmonisieren.» Damit die Ukraine GVO-frei bleibe.
Inoffiziell sind genveränderte Pflanzen an der Tagesordnung
Die Realität sehe aber anders aus, sagt Andriy Martin, Professor für Land-Management an der Nationalen Universität für Bioressourcen und Umwelt: «In der Tat gibt es sehr viel Gentech-Pflanzen. Ich schätze, dass in der Ukraine mehr als die Hälfte der Sojabohnen genverändert sind sowie ein Drittel des Maises – aber das ist inoffiziell.»
Syngenta zählt weltweit zu den grössten Herstellern von genveränderten Organismen und verkauft sie vor allem in Latein- und Nordamerika. In der Ukraine verkauft Syngenta nach eigenen Angaben keine genveränderten Organismen, obwohl dadurch höhere Erträge möglich wären.
Gebhard Rogenhofer gibt sich pragmatisch: «Sobald es hier gewünscht wird, werden wir daran denken, etwas anzubieten.» Falls nicht, mache man weiter wie bisher.
Kleinbauern bezahlen Syngenta mit ihren Ernten
Für die sieben Millionen kleinen und mittleren Bauern im Land übernimmt der Konzern die Rolle einer Bank. Viele Bauern sind stark unterfinanziert und bekommen kaum Kredite. Die Syngenta-Produkte können sie mit ihren Ernten abzahlen. Und: Syngenta positioniert sich verstärkt als Dienstleister: Im Land, wo es kaum Labore gibt, um die Qualität von Saatgut zu analysieren, errichtet Syngenta derzeit ein Hightech-Diagnose-Zentrum nach dem anderen.
Für Syngentas Erfolg im Agrarmarkt ist es aber auch entscheidend, einflussreiche Grossbauern zu den Kunden zählen zu können. So zum Beispiel Grossbauer Alex Lissitsa, CEO von Milk Industrial Company, und Besitzer von 7000 Kühen und Agrarland, so gross wie ein Siebtel der Schweizer Landwirtschaftsfläche. Er kauft dem Unternehmen jährlich für 15 Millionen US-Dollar Saatgut- und Pflanzenschutzmittel ab.
Die Bonanza in der Ukraine hat auch eine Kehrseite: Zu schaffen machen Gebhard Rogenhofer etwa internationale Konkurrenten wie Monsanto, Dupont, Cargill und John Deere. Sie haben seit dem Regierungswechsel im letzten Jahr mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar investiert.
Geschäften im Gefechts-Land
Hinzu kommen die grassierende Korruption, der florierende Schwarzmarkt und lokale Billigkonkurrenten, die den Markt mit günstigen Imitaten von Saaten überschwemmen.
Und vor allem: Syngenta geschäftet in einem Land, das in einem bewaffneten Konflikt mit Russland steht. Gebhard Rogenhofer sagt dazu: «Wir sind durch die Krise faktisch überhaupt nicht beeinträchtigt. Die Landwirtschaft ist eine Schlüssel-Industrie für die Ukraine und deshalb sehr wichtig.» Syngenta hält an der Ukraine fest. Denn: Die Wachstumsmöglichkeiten, die sich der Schweizer Konzern dort verspricht, sind grenzenlos.