Mark Boleat von der City of London sitzt in seinem Büro in der alt-ehrwürdigen Guildhall, dem früheren Rathaus. Dessen Fundament stammt aus dem 15. Jahrhundert. Boleat präsidiert das Komitee, das für die politischen Leitlinien der Londoner City zuständig ist. Ein Mann der lokalen Verwaltung und zugleich einflussreicher Finanz-Lobbyist.
Londons Stärken bleiben erhalten
London werde den Rückschlag des Brexit überwinden, ist er überzeugt. «Die Stärken Londons, die es zum erfolgreichen Finanzzentrum gemacht haben, bleiben bestehen», betont er. Die Leute lebten gerne in London, nur schon wegen der guten Schulen und Universitäten für ihre Kinder. London habe einfach eine magnetische Anziehungskraft.
Egal, wen man fragt in London: Alle kommen rasch auf die Vorzüge der Stadt zu sprechen. Für gut ausgebildete, gut verdienende Bankerinnen und Banker, Anwälte, Unternehmensberaterinnen und IT-Fachleute habe London nur gute Seiten.
Auch der Ökonom Dean Turner ist überzeugt: Die wichtigsten Pluspunkte sind auch nach dem Brexit noch da. Turner analysiert in London für die UBS die volkswirtschaftlichen Aussichten. «Die hervorragende Infrastruktur, die besonders breite Auswahl an Fachkräften, der hoch flexible Arbeitsmarkt, der Investoren anzieht: All das wird sich nicht ändern», ist Turner überzeugt.
Zutritt zum EU-Markt essenziell
In London ist aber auch allen klar: Die neue britische Regierung muss bei den Austrittsverhandlungen mit der EU ein grosses Problem lösen – der Zutritt zum europäischen Markt für Finanzdienstleistungen muss für die hier angesiedelten Firmen offen bleiben. Sonst wickeln diese bald andernorts ihre lukrativen Geschäfte mit EU-Kunden ab.
Bereits machen sich konkurrierende europäische Finanzplätze wie Frankfurt und Paris Hoffnungen, die Angestellten der globalen Top-Finanz bei sich begrüssen zu dürfen.
Allerdings könnte sich die Konkurrenz auf dem europäischen Kontinent zu früh gefreut haben, meint Andrew Hilton, Direktor des Londoner Think Tanks «Centre for the Study of Financial Innovation». In Frankreich zum Beispiel sei das Arbeitsrecht zu strikt für die angelsächsisch geprägten Investmentbanken. Diese pflegen ihr Personal rasch auf- und wieder abzubauen, nach dem Muster von «Hire and Fire».
Frankfurt fehlt Londons vibrierende Atmosphäre
In Paris gehe das nicht so reibungslos wie in London. Und Frankfurt sei «super, wenn Sie eine weisse, alte Person sind, die am Abend bloss Fernsehen schauen will». Aber das deutsche Finanzzentrum sei wohl eine wenig verlockende Alternative zu London für jung-dynamische Finanz- und IT-Spezialisten, witzelt der frühere Weltbank-Ökonom. Diese schätzten die vibrierende, kosmopolitische Atmosphäre Londons.
Hilton hat für den Austritt aus der EU gestimmt. Er hofft, langfristig habe Grossbritannien ausserhalb der Gemeinschaft bessere Wachstumsperspektiven. Das macht ihn politisch zum Aussenseiter in der City. Denn hier waren beim Referendum im Juni fast alle gegen den Brexit. Doch was ihn zuversichtlich macht für den Finanzplatz, sind die gleichen Argumente.
Den Londoner Finanzsektor würden vor allem die Menschen ausmachen, nicht die Institutionen. Dieser besondere Menschenschlag hier sei extrem anpassungsfähig. Diesen Leuten werde es stets irgendwie gelingen, Geld zu machen. Auch nach dem Brexit.