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Generationenaustausch fördert das Verständnis
Aus Radio SRF 1 vom 12.08.2024.
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Generationengraben? Von wegen! Ungewöhnliche Freundinnen: «Sie ist älter als meine Mutter»

Freundschaften bereichern das Leben und machen glücklich. Und manchmal überbrücken sie sogar Generationen. Der Altersunterschied rückt dann in den Hintergrund – zumindest meistens. Zwei Freundinnen erzählen von den Sonnen- und Schattenseiten einer generationenübergreifenden Freundschaft.

Wenn wir an unsere Freundinnen und Freunde denken, sind das meist Menschen in unserem Alter. Menschen, die wir in der Schule, bei der Ausbildung oder über andere Freundschaften kennengelernt haben.

Anders ist das bei Jasmin Karim (25) und Silvia Unterfinger (62). Als Karim geboren wurde, war Unterfinger schon fast 40 Jahre auf der Erde. Die Hippie-Bewegung, der Fall der Berliner Mauer, das erste Smartphone – all das hat die 62-Jährige miterlebt und die 25-Jährige verpasst. Karim steht am Anfang ihres Berufslebens, Unterfinger wenige Jahre vor dem Ende. Trotzdem haben sie sich vor fünf Jahren auf einer Redaktion kennengelernt und angefreundet.

Ich konnte mit ihr Gespräche führen, die ich im Büro sonst nicht führen konnte.
Autor: Jasmin Karim Freundin von Silvia Unterfinger

«Ihre und meine ‹Energy› haben voll gepasst», erzählt die 25-jährige Zürcherin. «Ich konnte mit ihr Gespräche führen, die ich im Büro sonst nicht führen konnte.» So richtig entwickelt habe sich die Freundschaft aber erst während der Pandemie, als sie öfter bei der Arbeitskollegin zu Hause gearbeitet hat. Mit der Zeit sind Gespräche entstanden, die über den Job hinaus gingen.

 Jasmin Karim (25) und Silvia Unterfinger (62).
Legende: Jasmin Karim (rechts) steht am Anfang ihres Berufslebens, Silvia Unterfinger (links) wenige Jahre vor dem Ende. Trotzdem haben sie sich vor fünf Jahren auf einer Redaktion kennengelernt und angefreundet. ZVG

Die zwei Frauen haben gemeinsame Interessen gefunden. «Ich habe lange in Nepal gelebt, Jasmin hat Wurzeln in Bangladesch und so lieben wir beide indisches Essen», sagt Unterfinger. Sie hätten zusammen gekocht und sich bei einem Glas Wein unterhalten.

Solche Freundschaften sind die Ausnahme

Eine Freundschaft zwischen zwei Menschen unterschiedlicher Generationen ist aber selten. Das zeigt eine Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts, für die Menschen zu ihrer engsten Freundschaft befragt wurden. Nur sechs Prozent der Befragten geben an, dass ihre beste Freundin oder ihr bester Freund mindestens 20 Jahre älter oder jünger ist.

Mehr zur Studie

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Im August 2023 hat das Gottlieb Duttwiler Institut eine grosse Studie zu Freundschaften in der Schweiz veröffentlicht. Das Institut hat dafür 3000 Menschen aus verschiedenen Landesteilen und Altersgruppen befragt.

Im Schnitt haben Schweizerinnen und Schweizer vier enge Freundschaften und einen erweiterten Freundeskreis von acht Personen. Acht Prozent haben angegeben, überhaupt keine Freundschaften zu haben.

Bei den besten Freundinnen und Freunden zeigt sich: Meist sind diese im ähnlichen Alter und haben dasselbe Geschlecht. Am wichtigsten ist ein ähnlicher Humor.

Fast die Hälfte der besten Freundschaften sind in der Schule, bei der Ausbildung oder der Arbeit entstanden. Mit zunehmendem Alter nimmt die Anzahl der Freundschaften tendenziell ab. Ältere Menschen sind mit ihren Freundschaften dafür eher zufrieden, während sich mehr junge Menschen einsam fühlen.

Auch Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello bestätigt, dass generationenübergreifende Freundschaften eher die Ausnahme als die Regel sind: «Wir gesellen uns gerne zu solchen, die gleiche oder ähnliche Anliegen, Ziele und Weltanschauungen haben.» Bei Gleichaltrigen sei das am besten gegeben. Ein gemeinsamer Hintergrund und gemeinsame Erfahrungen schweissen zusammen.

Pasqualina Perrig-Chiello

Entwicklungspsychologin

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Pasqualina Perrig-Chiello ist emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Bern. Ausserdem ist sie Vizepräsidentin der Seniorenuniversität Bern. In ihrer Forschung hat sich Perrig-Chiello intensiv mit Altersfragen und mit den Beziehungen zwischen den Generationen auseinandergesetzt.

Trotzdem könne eine Freundschaft über die Generationen hinweg sehr bereichernd sein. Man erhalte neue Perspektiven auf eine Situation oder ein Problem und könne so voneinander lernen.

Für die ältere Person sei die Freundschaft ganz klar eine Verjüngung. Die jüngere Person wiederum könne von der Lebenserfahrung der älteren profitieren: «Ältere können Vorbilder sein und vielleicht sogar eine Funktion von Eltern oder Grosseltern einnehmen, falls diese in der Familie nicht vorhanden war.»

Erfahrung gegen Unbefangenheit

Zurück zur Freundschaft zwischen Karim und Unterfinger: Führen sie eine Enkelin-Grossmutter-Beziehung? Beide verneinen diese Frage vehement.

Aber Karim sagt, eine Art Vorbild sei ihre Freundin schon: «Meine anderen Freunde sind alle, wie ich, gerade am Herausfinden, wie wir unser Leben leben.» Silvia hingegen habe bereits viel erlebt und oft auch nicht gewusst, wo der Weg hinführt. «Von ihr habe ich diese Ruhe gelernt, dass alles gut kommt.»

Es ist mir ein grosses Anliegen, dass auch anderes Leben in meinem Leben Platz hat.
Autor: Silvia Unterfinger Sucht den Kontakt zu jungen Menschen

Die 62-Jährige wiederum geniesst Karims Unbeschwertheit. «Ich hatte immer wieder das Gefühl, Älterwerden heisst, Unbefangenheit und Unvoreingenommenheit zu verlieren und ich wollte dem entgegenwirken.»

Durch die jüngere Freundin erinnert sie sich immer wieder daran, diese Unbefangenheit zu erhalten. Weil sie keine eigenen Kinder hat, sucht sie sich bewusst Kontakt zu jungen Menschen. Es interessiere sie, was junge Menschen denken, was sie umtreibt: «Es ist mir ein grosses Anliegen, dass auch anderes Leben in meinem Leben Platz hat.»

Silvia wird Jasmins Kinder nicht aufwachsen sehen

Diese Offenheit für andere Menschen ist laut Perrig-Chiello zentral für eine Freundschaft zwischen den Generationen. Offenheit allein reiche aber nicht. «Die ältere Generation sollte das eigene Alter akzeptieren und nicht die Sprache oder den Kleidungsstil der jüngeren übernehmen.»

Ansonsten könne eine Konkurrenzsituation entstehen, die schädlich für die Freundschaft sei. Schädlich ist auch, wenn die ältere Person es immer besser wissen will: «Solch ein Dominanzanspruch ist Gift für intergenerationelle Freundschaften.»

Obwohl Karim und Unterfinger sich an unterschiedlichen Punkten im Leben befinden und unterschiedliche Sorgen und Ängste haben, betonen beide immer wieder: Der Altersunterschied sei in ihrer Freundschaft kein Thema. «Ich vergesse manchmal, dass sie schon ein ganzes Leben gelebt hat», meint Karim.

Ein Leben, in dem sie bereits mehrere Partner hatte. Es ist auch ein Leben, in dem sie ein Kind verloren und in Nepal gelebt hat. Dabei wurde sie von manchen Freundinnen über 40 Jahre hinweg begleitet.

Warum sind generationenübergreifende Freundschaften so selten?

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Der Autor der Studie «In guter Gesellschaft», Jakub Samochowiec, liefert mögliche Erklärungen.

  • Viele Freundschaften entstehen in der Schule, Ausbildung oder Arbeit. Dort treffen wir regelmässig auf Menschen im ähnlichen Alter. Um überhaupt auf Menschen aus anderen Generationen zu treffen, braucht es meist mehr Eigeninitiative.
  • Der Medienkonsum prägt den Humor, ist aber je nach Generation unterschiedlich. Witze werden generationenübergreifend also nicht immer verstanden.
  • Je nach Alter stehen Menschen vor anderen Herausforderungen. Gerade jüngeren Personen ist es wichtig, dass ihr Freundeskreis sie versteht. Das ist einfacher, wenn die Person einem ähnlich ist.

«Da verbindet einen der ganze Fundus des Lebens. Bei Jasmin und mir ist die Freundschaft an einem anderen Punkt.» Die Freundschaft sei vielleicht vorsichtiger. Und auch Karim sagt: «Dass es eine Freundschaft ist, die mich nicht das ganze Leben begleiten wird, macht mich schon sehr traurig.»

Da ist der Altersunterschied doch sehr präsent. Die zwei Frauen erinnern sich an einen weiteren Moment zurück, an dem der Generationenunterschied «sonnenklar» gewesen sei. Karim war mit ihrer Mutter bei der älteren Freundin zum Kaffee. «Für meine Mutter war es schon komisch, dass ich eine Freundin habe, die älter ist als sie.»

«Jöö, du besuchst eine alte Frau»

An diesem Altersunterschied könnte es auch liegen, dass die zwei Frauen kaum über Sexualität sprechen.

In ihrer Jugend sei man sehr offen damit umgegangen, sagt Unterfinger. «Junge Menschen sind heute ziemlich anders drauf, sie sind da verschlossener.» Und Entwicklungspsychologin Perrig-Chiello fügt an: «Fragen von Scham und Sexualität im Alter sind nicht gerade das, was man mit Jungen bespricht.»

Jung und Alt zusammenbringen

Zu spüren bekommt Karim den Altersunterschied auch, wenn sie ihren gleichaltrigen Freundinnen und Freunden von Silvia erzählt. Oft hätte ihr Umfeld das Bild einer alten Frau mit grauen Haaren im Kopf. «Jöö, du besuchst eine alte Frau», hat eine Freundin mal gesagt. «Viele hatten das Gefühl, ich besuche Silvia aus Güte oder weil es gut klingt.»

Ich vergesse manchmal, dass Silvia schon ein ganzes Leben gelebt hat.
Autor: Jasmin Karim 25-jährige Zürcherin

Freundschaften mit grossem Altersunterschied würden oft schräg angeschaut, sagt Generationenforscherin Perrig-Chiello. «Der beste Weg, damit man intergenerationelle Beziehungen als normal betrachtet, ist, Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen.» Genau das machen Institutionen wie das Berner Generationenhaus, der Verein Tavolata oder die Plattform Intergeneration. Es geht darum, Jung und Alt zusammenzubringen, zum Beispiel für ein gemeinsames Essen oder ein Jassturnier.

Generationenaustausch fördert das Verständnis

Über solch ein Projekt haben sich Noah Werder (24) und Fritz Zurflüh (69) kennengelernt. Sie schreiben für die Redaktion des «Generationentandem» in Thun. Der Verein hat es sich auf die Fahne geschrieben, «jugendliche Offenheit mit der Lebenserfahrung der älteren Generation» zusammenzubringen.

Vor anderthalb Jahren haben sie ihr eigenes Projekt auf die Beine gestellt: Etwa alle sechs Wochen organisieren sie einen Stammtisch, an dem vier junge und vier ältere Menschen über ein bestimmtes Thema diskutieren.

Obwohl die Treffen im Rahmen des Generationenprojekts stattfinden, seien sie sehr persönlich, sagt Zurflüh: «Eigentlich geht es fast mehr um private Sachen. Wie erleben wir Alten die Berufswahl, wie erleben es die Jungen?» Werder hat keine Grosseltern mehr und geniesst daher den Kontakt zum älteren Freund: «Wir sind zwar auf Augenhöhe, aber trotzdem ist Fritz in manchen Dingen Vorbild.»

Entwicklungspsychologin Perrig-Chiello sieht in solchen Generationenbeziehungen viel Potenzial für die Gesellschaft. «Wir haben zwar keinen Generationenkrieg in der Schweiz, aber man weiss sehr wenig voneinander.» Deshalb sei das Alter in unserer Gesellschaft negativ behaftet. Beziehungen zwischen den Generationen könnten dem entgegenwirken und für mehr Verständnis sorgen – so wie es Jasmin Karim und Silvia Unterfinger und auch Noah Werder und Fritz Zurflüh füreinander haben.

SRF 1 , Treffpunkt, 13.8.2024, 10:00 Uhr

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