Sie kommen so sicher wie der Kater nach einer durchgefeierten Nacht am Openair: Die Bilder des zugemüllten Festivalgeländes nach der ganzen Sause. Wimmelbilder voll mit teils zerstörten, teils kompletten Zelten, weissen Pavillons, Schlafsäcken, Gummistiefeln und vor allem eines: Abfall. Die Besitzer des Mülls? Schon längst auf dem Heimweg.
Und dann kommt der Aufschrei
Empörte Nicht-Festivalgänger echauffieren sich lautstark über das vermeintlich verschwundene Umweltbewusstsein junger Menschen. Die vermeintlich umweltbewussten Festivalgänger versuchen krampfhaft zu rekapitulieren, ob sie nun wirklich nichts auf den Boden geworfen haben. Und dann gibt’s auch jene Festivalbesucher, denen der Abfallfriedhof schlichtweg egal ist:
Aber wie viel Abfall produzieren wir als Festivalgänger wirklich?
Was passiert wiederum damit und was tun die Veranstalter gegen das Abfallmeer? Wir haben 10 Festivals nach ihren Abfall- und Umweltkonzepten befragt, an denen SRF 3 in diesem Jahr vor Ort berichtet hat oder noch berichten wird.
Gurtenbesucher produzieren am wenigsten Abfall
Das Openair Frauenfeld sowie das Paléo Festival in Nyon sind die (was die Festivalbesucheranzahl betrifft) grössten Festivals der angefragten zehn. Dementsprechend liefern beide auch imposante Zahlen bezüglich Abfall: Beim Openair Frauenfeld sind es 297 Tonnen bei insgesamt 180'000 Besuchern – beim Paléo sind es 299 Tonnen auf 230'000 Besucher.
Auffällig dabei ist , dass das Paléo einen Abfalldurchschnitt pro Person und pro Tag von 1 Kilogramm hat – während es beim Openair Frauenfeld 1.7 Kilogramm sind.
Ans Paléo gehen viele Besucher nur einen Tag – liegt der tiefe Schnitt also daran? «Etwa 20% unserer Besucher campieren auf unserem Zeltplatz», sagt Michèle Müller, Mediensprecherin vom Paléo Festival.
Grosser Gewinner in Sachen Abfallproduktion ist das Gurtenfestival mit dem tiefsten Wert von 0.65 Kilogramm pro Person und pro Tag. Ist das stark restriktive Camping-Reglement auf dem Güsche der Grund dafür? «Lediglich 7% der Besucher/innen schlafen am Festival in der Sleeping Zone. Die restlichen gehen nach Hause oder zu Freunden», bestätigt Simon Haldemann, Mediensprecher vom Gurtenfestival.
Er führt einen weiteren Grund an: «Wir haben keinen Detailhändler (Laden) auf Platz, welcher in grossen Mengen Produkte verkauft.» Auch die Anzahl der Verpfleger (14) ist um einiges übersichtlicher als an anderen Festivals. Aber: Wenn der Abfall vom Auf- und Abbau mitgerechnet wird, kommt das Gurten dann doch auf 97 Tonnen. Ein grosser Teil des Abfalls entsteht also gar nicht durch die Besucher.
Lediglich 7% der Besucher/innen schlafen am Festival in der Sleeping Zone. Die restlichen gehen nach Hause oder zu Freunden.
Auch sehr gut schneidet das Openair Lumnezia mit 0.4 Kilogramm pro Person und Tag ab. Allerdings sind die Abfallzahlen nur Schätzungen, so Mediensprecherin Catia Tschuor. Ein Abfall-Reporting gibt es erst ab diesem Jahr.
Und der Recyclingmeister ist: Das Paléo Festival
Mehrweggeschirr, Recyclingbags für Alu und PET, Refill-Flaschen und Zeltabgabemöglichkeiten: In Sachen Recycling hat sich vieles getan in der Festivallandschaft.
Rein zahlentechnisch ist das Paléo Festival ein Recyclingprofi: 58.9% ihres Abfalls (das entspricht einer Menge von 176.06 Tonnen) wird rezykliert. Nicht nur, wie üblich, PET und Alu – sondern auch Holz, Sperrmüll, Batterien und Glas. Glas ist an vielen Openairs nicht erlaubt. «Das ginge bei uns defintiv nicht», sagt Michèle Müller, Pressesprecherin vom Paléo. «Das ist kulturell bedingt. Weisswein gehört einfach bei uns dazu – und den verkaufen wir auch viel.»
Weisswein gehört einfach ans Paléo – und zwar im Glas. Das wird auch viel verkauft.
Abfall bleibe nur wenig zurück: «Von den Campern bleibt kaum Abfall, zum Beispiel Zelte zurück», sagt Müller weiter. Zum einen könne das am Sortier-Package liegen, welche das Paléo an alle Camper abgeben. So kann jeder seinen Abfall gleich selbst in Glas, Dose etc. sortieren.
Auch das Openair St. Gallen rezykliert von Karton bis Weissblech alles Mögliche, kann aber nur 13.5% des Gesamtabfalls rezyklieren. «Der Anteil der Leute, die bei uns «wohnen» ist deutlich höher als bei anderen Festivals. Das trifft auch im Vergleich zum Paléo zu», so Nora Fuchs vom Openair St. Gallen.
Innovationen gegen das Abfallmeer
Was kann aber getan werden, um den Abfall in Grenzen zu halten?
Die Problematik der noch funktionstüchtigen Zelte, welche liegen bleiben, versuchen mehrere Festivals (Openair Lumnezia, Openair St. Gallen, Gurtenfestival, Openair Frauenfeld, Openair Gampel) durch Weiterverwertung zu lösen.
Beispielsweise mithilfe des Vereins «Fair» und dessen Projekt «no-tent-waste». Zum Festivalende können Zelte abgegeben werden, die man nicht mehr mit nach Hause nehmen möchte.
280 noch funktionstüchtige Zelte, 150 Isoliermatten, 80 Schlafsäcke und 850 Pavillons
kamen im letzten Jahr laut dem Verein am Openair Gampel zusammen.
Was damit geschah? «Das gesammelte Material wurde bereits ab September 2018 nach Paris und Calais sowie Bosnien gebracht und kommt Menschen auf der Flucht zu Gute», so der Verein Fair auf ihrer Webseite.
Beim Openair St. Gallen sind es Vereine, Organisationen und Privatpersonen, welche intakte Zelte neu aufbereiten, erklärt Nora Fuchs, Mediensprecherin vom Openair St. Gallen. «Es handelt sich um zirka 200 Zelte pro Jahr, welche so recycelt werden.»
Weitere Strategien der Veranstalter:
- Foodstände erhalten Umweltbewertungen um lokale Produkte zu fördern (Paléo)
- kostenlose Wasserfontänen zum Trinken (Paléo)
- Abgabe voller Abfallsäcke mit finanzieller Belohnung oder Depot (Greenfield, Frauenfeld, Lumnezia)
- No-Tent-Waste (Gampel, Lumnezia, Gurtenfestival)
- kompostierbare Strohhalme (Paléo, Blue Balls, St. Gallen)
- Taschen-Aschenbecher (Openair Lumnezia, Gurtenfestival)
- Zusammenarbeit mit der No-Food-Waste-Firma «Too-Good-To-Go» (Paléo Festival und Zürich Openair)
Anmerkungen:
Das Heitere Openair sowie das Zürich Openair haben auf Anfrage von SRF 3 betreffend Umwelt- und Abfallkonzept nicht geantwortet. Das Openair Frauenfeld hat eine Stellungnahme abgelehnt. Die Zahlen, welche SRF 3 in den Grafiken für das Openair Frauenfeld verwendet, stammen vom Müllreport vom 31.5.2019 der Thurgauer Zeitung sowie von der Webseite des Openair Frauenfeld.