«Gingen junge Menschen von der Politik im Corona-Jahr vergessen?» Diese Frage stellt sich Sian aus der «Unzipped»-Community in einer Videobotschaft. Der Bundesrat verneint: «Es gab im Verlauf der Pandemie immer wieder Gruppen, die das Gefühl hatten, wir hätten sie vergessen.» Doch auch wir als Unzipped-Team sind stutzig geworden, als uns das Bundesamt für Gesundheit (BAG) kontaktierte und fragte, ob wir ein Interview mit Bundesrat Alain Berset machen möchten.
Ist da was dran? Hat die Landesregierung in der Pandemie zu wenig für junge Menschen gemacht und sucht nun den Kontakt zur Jugend über uns oder den einstündigen Livestream auf Youtube bei unseren Kolleg:innen von «Tataki» aus der Romandie?
Wir haben die Gelegenheit natürlich beim Schopf gepackt und wollten vom Bundesrat wissen, wie er sich zu den Themen äussert, die junge Menschen im vergangenen Jahr beschäftigt haben: Corona, schon klar, aber auch Klimastreik, Black Lives Matter, Mental Health und mehr. Hierfür habt ihr uns Videos eingesendet. Wir haben sie Alain Berset vorgelegt.
Überfüllte Psychiatrien, fehlende Therapieangebote
Alessia aus Zürich ist nur ein Beispiel. Viele Kinder- und Jugendpsychiatrien waren oder sind immer noch an ihrer Kapazitätsgrenze. Betreuungssuchende Menschen mussten deswegen entweder abgewiesen werden oder wurden auf Wartelisten gesetzt.
Für Alessia war schnell klar, dass die Wartelisten ellenlang waren. Zudem hätten die Praxen gar nicht erst das Telefon beantworten können. Deshalb will Alessia vom Bundesrat wissen: «Haben Sie als Gesundheitsminister das Thema Mental Health (mentale Gesundheit) auf dem Radar und was wollen Sie in Zukunft dagegen unternehmen?»
Alain Berset sagt: «Es war vielleicht schon so, dass der Zugang zu Therapieplätzen in manchen Fällen während der Pandemie nicht einfach war. Es war aber schon vor Corona ein Problem und die Pandemie hat es wohl verschärft. Selbstverständlich ist das Problem auf dem Radar und wir haben Schritte unternommen, um das zu verbessern.»
Keine Freiräume während Corona
Vincenzo habe keine Orte zum Chillen gehabt, weil wegen der Pandemie alles geschlossen war, sagt er. In seinem Fall sei es sogar zu einem tätlichen Angriff gekommen, weil er der LGBTQ+-Community angehöre. Die Übergriffe am Bahnhof Stadelhofen in Zürich machten in der ganzen Schweiz Schlagzeilen.
«Das geht gar nicht. Das ist nicht zu akzeptieren», sagt Bundesrat Berset und verurteilt den Hate-Crime-Angriff aus Schärfste. Ob die Pandemie solche Gewalttaten allgemein verschärft habe, sei für ihn schwierig zu sagen. «Das war aber schon vor der Pandemie ein Thema und es muss auch nach der Pandemie ein Thema bleiben. Vielfalt ist das Zentrum unserer Gesellschaft.»
Ihm sei bezüglich fehlender Treffpunkte nichts anderes übriggeblieben. Die Regierung habe Ansteckungen verhindern müssen. «Es war nicht einfach. Alle Generationen haben gelitten. Für die Jungen waren es vielleicht die Clubs und Bars, für die Älteren das Café und Jassen. Übrigens konnte auch ich neun Monate nicht chillen, es war für alle so.»
«Wo bleibt der Daniel Koch der Klimakrise?»
Der Klimastreik aus Olten findet klare Worte: «Wir sind enttäuscht. Unserer Meinung nach macht der Bundesrat zu wenig fürs Klima. Für uns ist eine Krise eine Krise: Bankenkrise oder Corona-Krise – die nehmt ihr ernst und handelt dementsprechend. Ihr habt direkt eine Corona-Taskforce gegründet. Warum gibt es noch keine Klima-Taskforce?»
Alain Berset entgegnet: «Ich kann das sehr gut verstehen. Wir hatten den Eindruck im letzten Jahr, dass es nur noch Corona gab. Das war für alle sehr mühsam und es teilweise wirklich auch andere Themen verdrängt.»
Die Herausforderung bei der Klimakrise werde sein, dass die Gesellschaft mutig und über Dekaden hinweg Massnahmen ergreifen müsse. Der Gesundheitsminister sagt: «Das war bei der Pandemie vergleichsweise einfach. Wir haben ein Problem gesehen, Massnahmen getroffen und nach einem Monat gesehen, dass sie wirken.» Bei der Klimakrise brauche es aber einen längeren Atem und Massnahmen über Generationen hinaus. Alain Berset: «Für mich zeigt dieses Video, dass mit Corona die wirklich grossen Probleme gar noch nicht gelöst sind. Sie sind noch da.»
Black Lives Matter: Was sagt der Bundesrat?
Yuvviki Dioh stellt fest: «Es war seitens Bundesrat überwiegend still bezüglich den grössten antirassistischen Demos in der Schweiz. Zahlreiche Studien belegen, struktureller Rassismus ist ein Riesenproblem, zum Beispiel Rassismus bei der Job- und Wohnungssuche oder Racial Profiling. Was ist die Haltung des Bundesrats zu Rassismus in der Schweiz?»
Alain Berset ist als Innenminister auch der Vorsteher der Fachstelle für Rassismusbekämpfung. Er fragt sich: «Können wir all diese Dinge über eine Verordnung oder mit einem Gesetz lösen? Ich glaube nicht. Ich denke, es ist alles komplexer. Es hat damit zu tun, wie wir die Welt und die Schweiz sehen. Da sind alle gefragt und nicht nur der Bundesrat.»
Weiter sei es ein gesellschaftliches Problem und wir würden es nur als Gesellschaft lösen können, sagt der Bundesrat und ergänzt: «Diversity is power. Die Schweiz ist divers und vielfältig. Diese Vielfalt ist unsere Stärke.»
Wir hätten noch so viele gute Botschaften gehabt
Leider war die Zeit des Bundesrats begrenzt und wir konnten nicht alle Videobotschaften zeigen: darunter Barkeeper:innen, Menschen aus dem Gesundheitssektor und viele mehr.
Was ging aus deiner Sicht vergessen? Was hätten wir sonst noch mitnehmen müssen? Schreib uns auf Instagram oder auf Youtube einen Kommentar!