Eine Frage, die die Welt umtreibt: Wie viel Zeit und Handlungsspielraum bleiben uns noch, bis sich die Erde um kritische 1.5 Grad erwärmt hat? Diese Schwelle könnte laut künstlicher Intelligenz bereits zwischen 2033 und 2035 erreicht sein. Selbst wenn wir es im kommenden Jahrzehnt schaffen, die Treibhausgasemission zu senken. Zu diesem Schluss kommt eine amerikanische Studie, für die Forschende künstlicher Intelligenz Klimamodelle zum Rechnen gaben.
Der Algorithmus der Forschenden aus Stanford sei kein Miesepeter, ordnet Sonia Seneviratne die Studie ein. Die Schweizerin ist eine der meistzitierten Klimawissenschaftlerinnen der Welt. Die Berechnungen der KI stimmen grundsätzlich mit dem sechsten IPCC-Bericht überein.
An mehreren dieser Berichte im Auftrag des Weltklimarats arbeitete Seneviratne mit. «Mit anderer Methodik stellt die KI ähnliche Prognosen auf und bestätigt: Uns läuft die Zeit davon», so die Klimawissenschaftlerin und Professorin an der ETH Zürich.
Doch in einer Sache ist die KI noch pessimistischer als der Weltklimarat: Selbst bei einem Szenario mit drastischen CO₂-Einsparungen sei es unwahrscheinlich, den Temperaturanstieg unter zwei Grad Celsius zu halten, sagt der Algorithmus voraus. Sprich: Das wichtigste Klimaziel des Pariser Abkommens würde in diesem Fall nicht eingehalten.
KI als wichtige Ergänzung
Die Zwei-Grad-Erwärmung könnte dank geringer Umweltverschmutzung zwar noch bis 2054 aufgehalten, aber nicht verhindert werden. Die Studie betrachtet aber nicht das gravierendste Szenario des Weltklimarats, das auf eine Stabilisierung der globalen Erwärmung auf zirka 1.5 Grad zielt. «Es ist unklar, wie die Ergebnisse der KI bei diesem Szenario aussehen würden», sagt Seneviratne.
Frei verfügbare Klimadaten in hoher Auflösung
Rechnen sich Menschen die Zukunft also einfach schön? Keineswegs, meint die Klimawissenschaftlerin Seneviratne. Sie erklärt: «Diese physikalischen Gleichungen, auf welchen die Klimaprognosen beruhen, könnten bei gewissen Schwellenwerten ausgehebelt werden. Diese Überlegungen werden von der KI nicht einbezogen und es wurden keine entsprechenden Korrekturen vorgenommen.»
Zudem sei auch bei solchen Berechnungen mittels KI schliesslich die Menschen dahinter relevant. «Sie entscheiden, mit welchen Informationen und Modellen sie die Systeme trainieren.»
Darüber hinaus ist jenes Forschungssystem nur mit einer Auswahl von Klimamodellen trainiert worden, für die IPCC-Berichte werden weitaus mehr Daten berücksichtigt. Trotzdem: Von KI aufgestellte Prognosen seien eine wichtige Ergänzung zu den bereits etablierten Modellen, so Seneviratne. Auch sie forscht damit.
Anlass für Ansporn oder zum Aufgeben?
Die Klimaforscherin sieht diese pessimistischen KI-generierten Prognosen nicht als Anlass, aufzugeben. Im Gegenteil: Sie werde davon angespornt, an klimatischen Bedingungen und unterschiedlichen Prognosen weiterzuforschen.
Doch etwas ist ihr dabei wichtig: Weniger die exakten Jahreszahlen sollten im Fokus stehen, sondern viel mehr die Einsicht: «Es gibt kein Zurück mehr.» Die Erwärmung der Erde, die wir jetzt schon erreicht haben – mitsamt spürbaren Klimafolgen wie Dürren und Hitzeperioden –, werde mehrere tausend Jahre bestehen bleiben. Als Lösung helfe nur: weniger CO₂ produzieren und auf fossile Brennstoffe wie Erdöl und Kohle verzichten. KI hin oder her.