Ozeane, Wälder, Böden und weitere natürliche Kohlenstoffsenken absorbieren aktuell etwa ein Drittel der menschengemachten Emissionen – ungefähr 12 Milliarden Tonnen CO₂ jährlich. Was im Meerwasser gelöst, in Blättern oder im Boden gebunden wird, rechnen Regierungen und Unternehmen häufig als Klimaschutzmassnahme an. So kompensieren sie ihre Emissionen, ohne selbst aktive Massnahmen zu ergreifen.
Diese Strategie könnte dazu führen, dass sich Regierungen und Unternehmen zu stark auf die Natur verlassen – mit fatalen Folgen, wie eine internationale Forschergruppe in einer «Nature»-Studie schreibt. Nämlich dass die globale Klimaerwärmung nicht gestoppt wird. Die bestehenden Senken können die laufenden Emissionen nicht ausgleichen, zeigen die neuen Berechnungen.
Netto-Null ist nicht gleich Netto-Null
Netto-Null – ein Gleichgewicht zwischen menschengemachtem Kohlenstoffausstoss und dessen Entfernung – kann unterschiedlich interpretiert werden. Die ursprüngliche Definition von vor über 15 Jahren berücksichtigte natürliche Senken nicht. Im Gegensatz dazu erlaubt das Pariser Klimaabkommen, diese natürlichen, bereits bestehenden Prozesse der Ökosysteme miteinzubeziehen.
«Ein Land könnte den Anschein erwecken, Netto-Null erreicht zu haben, während es noch immer zur fortschreitenden Klimaerwärmung beiträgt», sagt Mitautor Thomas Stocker vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung an der Universität Bern. Indem ein Land weiterhin fossile Brennstoffe nutzt und CO₂ ausstösst, aber sich eine natürliche Senke beispielsweise im Ausland erkauft und anrechnen lässt.
Wir können nicht erwarten, dass die natürlichen Senken unsere zukünftigen Emissionen aufnehmen.
Die Forschenden betonen: Natürlichen Senken sind instabil und werden durch die Klimaerwärmung beeinträchtigt. «Wir können nicht erwarten, dass die natürlichen Senken unsere zukünftigen Emissionen aufnehmen», so Stocker. Beispielsweise können erwärmte Ozeane weniger CO₂ aufnehmen, da dieses darin schlechter löslich ist. Auch ein veränderter pH-Wert verringert die CO₂-Aufnahme der Ozeane. Oder wenn Regenwaldflächen abgeholzt und später wieder aufgeforstet werden, «ist unklar, ob dieser Wald genauso viel CO₂ binden kann wie zuvor», erklärt Stocker.
Wenn Senken zu Quellen werden
Natürliche Speicher können durch Umwelteinflüsse sogar zu einer Kohlenstoffquelle werden. Etwa, wenn Wälder aufgrund von Dürren absterben oder niederbrennen und dabei der gespeicherte Kohlenstoff freigesetzt wird. Solche Risiken werden in den Klimazielen oft nicht berücksichtigt. Ein aktuelles Beispiel sind die diesjährigen Brände in Kanada, die enorme Mengen Kohlenstoff freisetzen, wie der Guardian berichtete. Diese Unsicherheiten der Speicherung führen laut Studie dazu, dass natürliche Senken überschätzt werden.
Zudem besteht die Gefahr, dass mehrere Länder dieselben Senken für ihre Netto-Null-Ziele anrechnen lassen. «Das führt zu einer problematischen Mehrfachanrechnung und verzerrt die Klimabilanzen», warnt Thomas Stocker, der Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe des 5. IPPC-Sachstandsberichts war. Die Studienautoren fordern deshalb, natürliche Senken eindeutig von aktiven Massnahmen zu trennen und separat auszuweisen. «Um die Klimaerwärmung aufzuhalten, müssen wir uns auf das richtige Netto-Null konzentrieren», sagt Stocker.