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Das stille Gesundheitsrisiko Von Einsamkeit gezeichnet: Was unser Blut verrät

Neue Forschung zeigt, dass Einsamkeit unser Blutbild verändert. Aber Fachleute sehen den Schlüssel gegen Einsamkeit nicht in Laborwerten.

Einsamkeit erhöht das Risiko, vorzeitig zu sterben, ähnlich stark wie das Rauchen von 15 Zigaretten täglich. Warum Einsamkeit uns so schaden kann, wird in einer aktuellen Studie untersucht. Forschende analysierten dazu fast 3000 Proteine im Blut von tausenden Teilnehmenden aus der UK Biobank.

Dabei fanden sie heraus, dass sich bestimmte Proteine bei Menschen, die sich einsam fühlen oder sozial isoliert leben, veränderten und gehäuft vorkommen. Aus früheren Untersuchungen weiss man, dass diese Proteine etwa im Zusammenhang mit Entzündungsprozessen und dem Cholesterin-Stoffwechsel stehen. Aber erklären sie auch das erhöhte Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Alzheimer?

Einsamkeit ist ein hochkomplexes, inneres Vorgehen, das sich nicht mit zwei Fragen erfassen lässt.
Autor: Andreas Papassotiropoulos Universität Basel

«Nein», sagt Andreas Papassotiropoulos, Genetiker, Psychiater und molekular Neurowissenschaftler der Universität Basel. Zwar sei die Studie methodisch solide, doch inhaltlich gebe es Schwächen. «Einsamkeit ist ein hochkomplexes, inneres Vorgehen, das sich nicht mit zwei Fragen erfassen lässt», kritisiert er. Die Teilnehmenden wurden lediglich gefragt, ob sie sich einsam fühlen – nicht, ob es sie belastet.

Was bedeutet Einsamkeit?

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Person mit Hut sitzt auf einer Bank im Park.
Legende: Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl und muss nicht zwangsläufig negativ sein. Imago Images/Wolfgang Maria Weber

Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, geprägt von der eigenen Wahrnehmung und den persönlichen Vorstellungen. «Jeder Mensch erlebt Einsamkeit anders», sagt Oliver Hämmig, Sozialepidemiologe und Public Health Experte der Universität Zürich. Der Genetiker und Psychiater Andreas Papassotiropoulos ergänzt, dass Einsamkeit nicht zwangsläufig negativ sein muss – entscheidend sei, ob sie selbstgewählt ist und wie belastend sie empfunden wird. «Für einen buddhistischen Mönch kann Einsamkeit erfüllend sein, während sie für andere Stress bedeutet», erklärt er.

In der Forschung werden neben subjektiven Eindrücken auch objektive Masse herangezogen, etwa die Anzahl sozialer Kontakte oder die Häufigkeit der Teilnahme an sozialen Aktivitäten. Diese objektiven Kriterien werden häufig unter dem Begriff «soziale Isolation» zusammengefasst.

Die subjektiv empfundene Einsamkeit und die objektiv gemessene Isolation gehen oft miteinander einher, aber nicht immer, erklärt Hämmig. Ein Beispiel: «Jugendliche fühlen sich oft einsam, sind aber selten sozial isoliert. Umgekehrt ist es bei älteren Menschen: Sie haben wenige Beziehungen und verbringen mehr Zeit allein, fühlen sich jedoch nicht zwangsläufig einsam.»

Auch Stress könnte die beobachteten Proteinveränderungen erklären, und somit auch die gesundheitlichen Folgen davon. Dennoch suggerieren die Studienautoren einen kausalen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und den biologischen Veränderungen. Dem widerspricht der Neurowissenschaftler: «Die Studie basiert auf Big-Data-Analysen, die lediglich Korrelationen aufzeigen. Sie helfen, neue Hypothesen aufzustellen, aber nicht, Kausalitäten zu belegen.»

Biologische Aspekte allein reichen nicht

Zusätzlich bringen die Autoren die Idee ins Spiel, Einsamkeit durch einen Bluttest zu diagnostizieren – indem bestimmte Proteine als Biomarker dienen. Papassotiropoulos bleibt skeptisch: «Einsamkeit ist zu vielschichtig, um durch einzelne Parameter erfasst zu werden.» Er hält es für unwahrscheinlich, dass Einsamkeit jemals zuverlässig durch Biomarker nachweisbar sein wird. Vielmehr müsse Einsamkeit als eine facettenreiche soziale Erfahrung verstanden werden, die nicht allein auf biologische Aspekte reduziert werden könne.

Einsamkeit – ein Symptom unserer Zeit

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Menschen neigen dazu, individuelle Verhaltensweisen oder Gemütszustände eher der Person als den äusseren Umständen oder der Situation zuzuschreiben – ein Phänomen, das in der Psychologie als fundamentaler Attributionsfehler bekannt ist. «Ähnlich verhält es sich bei der Einsamkeit: Viele Leute glauben, sie sei selbstverschuldet», sagt der Sozialepidemiologe Oliver Hämmig.

Doch Einsamkeit sei kein persönliches Versagen, sondern vielmehr ein Symptom des gesellschaftlichen Wandels. «In modernen Gesellschaften wie der Schweiz steigt das Risiko der Vereinsamung», betont Hämmig. Einer der Hauptgründe sieht er in der zunehmenden Individualisierung: Familiäre, dörfliche und religiöse Gemeinschaften verlieren an Bedeutung, während immer mehr Menschen in Ein- oder Zweipersonenhaushalten leben.

Diese Entwicklungen gehen mit einem Wertewandel einher: «Soziale Bindungen sind unverbindlicher geworden», sagt die emeritierte Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello. «Das Phänomen ist aus Wissenschaft und klinischer Praxis bestens bekannt – viele Menschen sehnen sich nach Nähe und Intimität, sind aber nicht bereit oder nicht fähig, dafür etwas zu investieren.»

Der Trend der Vereinsamung hat sich in den letzten Jahren noch verstärkt, insbesondere durch die Covid-19-Pandemie. Laut der letzten Gesundheitsbefragung fühlen sich neun Prozent der Schweizer Bevölkerung im Jahr 2022 häufiger einsam als vor der Pandemie. Besonders betroffen sind junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die sich doppelt so häufig einsam fühlen wie über 75-Jährige. Es ist von einer «Epidemie der Einsamkeit» oder einer «stillen Epidemie» die Rede.

Diese Einschätzung teilt auch der Sozialepidemiologe Oliver Hämmig. «Es ist äusserst schwierig, dieses komplexe Phänomen wissenschaftlich zu fassen», sagt er. Die Experten sind sich einig: Einsamkeit kann sowohl eine Ursache als auch eine Folge von Erkrankungen sein.

Wenn Krankheit einsam macht – und umgekehrt

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Eine bestehende Erkrankung kann den sozialen Rückzug verstärken. Umgekehrt kann anhaltende Einsamkeit psychische und körperliche Erkrankungen begünstigen. Daher sprechen Fachpersonen von einer wechselseitigen Beziehung.

Die emeritierte Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello engagiert sich als Präsidentin des Vereins «connect» und des Vereins Silbernetz Schweiz für die Bekämpfung von Einsamkeit. Sie erklärt: «Sozialer Rückzug führt häufig zu einem ungesunden Lebensstil. Betroffene bewegen sich weniger, ernähren sich unausgewogener und greifen häufiger zu Suchtmitteln.»

Fachleute sehen einen Ansatz gegen Einsamkeit nicht in Laborwerten, sondern im Mut, offen darüber zu sprechen. «Einsamkeit ist noch immer ein Tabuthema – das muss sich ändern», fordert Perrig-Chiello. Und ein wichtiger Schritt ist, sich einzugestehen, dass man ein Problem hat und handeln muss. Etwa, sich unter Menschen zu begeben. «Es geht darum, Kontakt in einer Weise zu suchen, die sich gut anfühlt und nicht überfordert», sagt Papassotiropoulos. Wer sich in Gruppen unsicher fühlt, kann mit einem Treffen mit einer einzelnen Person beginnen.

Risikogruppen: Wer leidet besonders unter Einsamkeit?

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Person unterstützt ältere Person mit Rollator beim Verlassen eines Gebäudes.
Legende: Eine oft übersehene Risikogruppe: pflegende Angehörige. Imago Images/photothek

Junge Erwachsene und hochbetagte Menschen über 85 gelten als besonders gefährdet, ebenso Personen mit niedrigem Bildungsniveau und geringem Einkommen.

«Eine oft übersehene Gruppe sind pflegende Angehörige. Trotz einer Partnerschaft beispielsweise mit einer demenzkranken Person fühlen sie sich häufig einsam», so Pasqualina Perrig-Chiello. Sie ist Präsidentin des Vereins «connect», der Akteure aus Wissenschaft, Organisationen und Politik vernetzt, um Einsamkeit in der Schweiz gezielt entgegenzuwirken. Zudem leitet sie den Verein Silbernetz Schweiz, der Betroffenen mit einer kostenlosen Telefonhotline Unterstützung bietet.

Neben gesellschaftlichen Einflüssen spielen auch individuelle Faktoren eine Rolle: Kritische Lebensereignisse wie der Verlust eines geliebten Menschen oder bestimmte Persönlichkeitsstrukturen können dazu führen, dass sich Betroffene aus dem sozialen Leben zurückziehen.

Puls, 20.01.2025, 21:05 Uhr

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