Swipe left, swipe right
In der Sendung «Wie tickt die Schweiz?» geben 30 von 100 Personen an, dass sie schon mal in einer Beziehung mit einer Person waren oder sind, die sie über eine Online-Dating-Plattform kennengelernt haben.
Die Apps schüren bei mir Hoffnungen, die nicht realistisch sind. Man erreicht sein Ziel nicht. Das ist deprimierend.
Die Hoffnung auf einen erfolgreichen Match führt aber auch zum Gegenteil: Viele sind erschöpft, überfordert und frustriert – vom ständigen Swipen, den scheinbar unendlichen Möglichkeiten, der Objektivierung. Die Tatsache, dass es für das Müde-sein vom Swipen den Ausdruck «Swipe Fatigue» gibt, ist bezeichnend. Und die Forschung bestätigt: Dating-Apps führen zu Stress, Angst und vermindertem Selbstwertgefühl.
In Luft aufgelöst
Nach dem Match kommt es zu ein, zwei Dates – dann meldet sich der Datingpartner oder die Datingpartnerin nicht mehr, wird zum Geist. Aus dem Nichts, ohne Begründung. Laut einer repräsentativen Umfrage haben 27 Prozent der 18- bis 19-Jährigen schon geghostet.
Warum tut man das? «Der Abschied in einer Beziehung ist immer auch eine Konfrontation mit dem eigenen Versagen», sagt Philosophin Anette Fintz. In einem auf Selbstoptimierung getrimmten Leben habe der Prozess des Abschieds oft zu wenig Platz.
Im Unklaren gelassen
Im Gegensatz zum Ghosting trifft man sich in einer Situationship über einen längeren Zeitraum hinweg, ist mehr als nur befreundet. In einer Beziehung ist man trotzdem nicht – weil man keine will. Ein Zwischending, weder Beziehung noch Affäre. Das kann funktionieren, für einige Personen aber auch belastend sein. In der Diskussionsrunde von «SRF IN PROGRESS» rät der 24-jährige Kevin, auf sich selber zu hören, sich nicht für die Hoffnung auf eine Beziehung aufzugeben.
Mehr Möglichkeiten, weniger Entscheidungen
Woher kommt diese Tendenz zum Undefinierten? Was führt dazu, dass man sich nicht festlegen kann, oder: nicht festlegen will? Philosophin Renata Salecl schreibt in ihrem Buch, dass uns Entscheidungen schwerfallen. Denn wer sich falsch entscheidet, ist unglücklich. Und selbst wer zufrieden ist, bleibt unsicher, denn man hätte es ja noch besser treffen können.
Wir müssen uns nicht entscheiden, weil uns alle Möglichkeiten zu Füssen liegen.
Lebensentscheidungen würden auf die gleiche Weise getroffen wie Konsumentscheidungen, schreibt Salecl. Auf der Suche nach dem richtigen Leben, wie nach der richtigen Haarspülung. Und je mehr (vermeintliche) Möglichkeiten wir haben – ob bei der Haarpflege oder der Liebe – desto schwerer fällt die Entscheidung.
Trotz allem nicht beziehungsunfähig
Swipe-Fatigue, Ghosting, Situationship: All diese Phänomene mögen deprimierend erscheinen. Pauschal zu sagen, die junge Generation sei beziehungsunfähig, greift aber zu kurz – und ist aus wissenschaftlicher Perspektive unseriös. 80 Prozent der Befragten geben in einer Studie von Guy Bodenmann, Professor für klinische Psychologie und Paartherapie an der Universität Zürich, an, eine Partnerschaft als lebenslange Verbindung anzusehen.
Die ewige, romantische Liebe hat es gar nie gegeben. Darum träumen wir davon.
Das Philosophie-Duo Barbara Bleisch und Yves Bossart ist sich einig: In der Liebe findet eine Pluralisierung und Individualisierung statt. Dadurch gibt es heute andere Beziehungsformen neben Single und Zweier-Partnerschaft – und das kann durchaus ein Gewinn sein. Und sowieso: «Die ewige, romantische Liebe hat es gar nie gegeben. Darum träumen wir davon.»