Aus Schweizer Sicht ist noch ein letzter Hoffnungsträger im Rennen: Der Kurzfilm «Ala Kachuu – Take and Run» der Zürcherin Maria Brendle ist dabei, wenn am 27. März in Los Angeles die Oscars verliehen werden.
Der Film erzählt von einer Kirgisin, die zwecks Zwangsheirat entführt wird. Nicht in die Nominationen geschafft hat es der hochbeachtete Schweizer Animationskurzfilm «Only a Child» – ein aufwändiges ökologisches Manifest, in welches mehrere Trickfilmschaffende ihren eigenen Stil einbrachten.
Letzte Chance für die Schweiz
Das schweizerisch-kosovarische Nachkriegsdrama «Hive» taucht in den Nominationen für den besten internationalen Spielfilm ebenfalls nicht mehr auf.
Die eindrückliche Schweizer Spielfilm-Einreichung «Olga» um eine ukrainische Athletin im Sportzentrum Magglingen war bereits früher ausgeschieden, und auch der von Paraguay eingereichte anwaltschaftliche Dokumentarfilm «Apenas el sol» (eine Schweizer Koproduktion) ist nicht mehr dabei.
Diversität bleibt wichtigstes Thema
In den Live-Moderationsgesprächen zur Bekanntgabe der Oscar-Nominationen gewichteten die US-Fachleute die eintrudelnden Ergebnisse auffällig stark nach dem Kriterium der Diversität. Die Academy Awards selbst verpflichten sich als Veranstaltung konsequent dem Gedanken und der Idee, eine Gesellschaft jenseits der weiss-männlichen Dominanz abzubilden.
Das ist richtig, wichtig und überfällig. Aber die Oscars haben auch noch ganz andere Baustellen als das blosse Einordnen der nominierten Personen nach Herkunft, Ethnie, Geschlecht, Sexualität und Hautfarbe.
Weitere Baustellen
Da ist etwa die Frage, inwiefern die anhaltende Pandemie auf das nicht immer gemütliche Nebeneinander von Filmstudios und Streaming-Konzernen abgefärbt hat, und welchen Stellenwert eine Kino-Auswertung zurzeit noch hat.
Offen bleibt auch die Frage, ob die aufwändigen Marketing-Kampagnen hinter den Nominationen noch zeitgemäss sind. Es stellt sich auch die Frage, warum in den Hauptkategorien so viele altbekannte Namen auftauchen und kreativer, ungemütlicher Nachwuchs in den eigenen Reihen immer spärlicher wird. Warum in Hollywood nur noch wenige Filmschaffende eine starke, persönliche Handschrift pflegen dürfen.
…und noch mehr Fragen
Es ist eine paradoxe Situation zu beobachten: Die Filmstudios verdienen ihr grösstes Geld zwar mit Superhelden und Superheldinnen, aber die Academy-Mitglieder haben offensichtlich Berührungsängste mit einem gelungenen Kassenschlager wie «Spider-Man: No Way Home»: Sie bevorzugen ihm ein ehrgeiziges, aber schwerfälliges Epos wie «Dune».
Und da ist natürlich auch noch die ganz andere Frage, ob die #MeToo-Bewegung die Filmmetropole nicht nur aufgerüttelt, sondern auch nachhaltig verändert hat.
Internationalisierung
Schliesslich lässt sich feststellen, dass sich die US-Filmindustrie weiter internationalisieren muss, wenn sie global relevant bleiben will: Dieses Jahr hat mit «The Power of the Dog» eine Netflix-Produktion ohne direkte finanzielle US-Beteiligung mit Abstand die grössten Chancen. Geschrieben und inszeniert hat sie die Neuseeländerin Jane Campion.
Mit Mexiko, China und Südkorea hat Hollywood in den letzten Jahren mehrere Verbündete ausserhalb des englischsprachigen Raums gefunden. Gemessen daran wäre es ein höchst unwahrscheinliches, aber wegweisendes Zeichen, wenn der dreistündige «Drive My Car» des Japaners Ryûsuke Hamaguchi 2022 den Oscar für den besten Film gewinnt.
Die wichtigsten Nominationen:
BESTER FILM | «Belfast» |
«CODA» | |
«Don't Look Up» | |
«Drive My Car» | |
«Dune» | |
«King Richard» | |
«Licorice Pizza» | |
«Nightmare Alley» | |
«The Power of the Dog» | |
«West Side Story» | |
BESTE REGIE | Paul Thomas Anderson («Licorice Pizza») |
Kenneth Branagh («Belfast») | |
Jane Campion («The Power of the Dog») | |
Steven Spielberg («West Side Story») | |
Ryûsuke Hamaguchi («Drive My Car») | |
BESTE HAUPTDARSTELLERIN | Jessica Chastain («The Eyes of Tammy Faye») |
Olivia Colman («The Lost Daughter») | |
Penélope Cruz («Parallel Mothers») | |
Nicole Kidman («Being the Ricardos») | |
Kristen Stewart («Spencer») | |
BESTER HAUPTDARSTELLER | Javier Bardem («Being the Ricardos») |
Benedict Cumberbatch («The Power of the Dog») | |
Andrew Garfield («Tick, tick...BOOM!») | |
Will Smith («King Richard») | |
Denzel Washington («The Tragedy of Macbeth») | |
BESTE NEBENDARSTELLERIN | Jessie Buckley («The Lost Daughter») |
Ariana DeBose («West Side Story») | |
Judi Dench («Belfast») | |
Kirsten Dunst («The Power of the Dog») | |
Aunjanue Ellis («King Richard») | |
BESTER NEBENDARSTELLER | Ciarán Hinds («Belfast») |
Troy Kotsur («CODA») | |
Kodi Smit-McPhee («The Power of the Dog») | |
Jesse Plemons («The Power of the Dog») | |
J.K. Simmons («Being the Ricardos») |