Plötzlich fühle ich mich im Baumarkt wie in einem New Yorker Szene-Restaurant: Da wie dort steht man stundenlang in einer Warteschlange. Nur gibt es am Ende statt dem besten Pulled Pork der Stadt bloss Pinsel und Primeli.
Der Triumph des Kulturwesens
18 stehen noch vor mir. Aber was danach kommt, am Ende der Schlange, ist eigentlich egal. Die Schlange ist das Ziel. Das Anstehen bietet mir so viel: Hier weiss ich mich Teil eines grösseren Ganzen. Bekomme eine Lektion in Gelassenheit, Zen-Momente am laufenden Meter. Und Zeit zum Nachdenken: Was für eine Kulturleistung die Schlange doch ist! Sie ist ein Triumph des Kulturwesens Mensch: Der Einzelne ordnet sich dem Gemeinsamen unter, im Dienste von Ordnung und Effizienz.
Ehrfürchtig staunend geniesse ich also die Wartezeit. Erinnere mich an früher, als vor dem Club noch die Devise galt: Ein echter Partylöwe lässt sich niemals von der Warteschlange fressen. Will meinen: Er passiert den Türsteher, ohne lange vor der Tür zu stehen.
Anstehen und -sitzen
Ich rücke vor auf Platz 12. Und geniesse das Anstehen wie ein Engländer. Der ist bekanntlich Meister des Sich-Einreihens, bildet sogar dann eine «queue», wenn er ganz allein auf den Bus wartet. Sosehr mich diese Disziplin beeindruckt: Die schönste Wartekultur erlebte ich in Westafrika. Ist Warten angesagt, heisst es dort statt anstellen erst mal hinsetzen. Möglicherweise ist die Angelegenheit das Anstehen ja gar nicht wert. Oder vielleicht erledigt sie sich ganz von allein.
Hierzulande ist die Warteschlange ein Systemfehler. Ein Zeichen, dass etwas nicht stimmt. Wo angestanden wird, weicht der Kapitalismus gerade vom Idealkurs ab: Angebot und Nachfrage sind im Ungleichgewicht. Wer wartet, kann nicht konsumieren. In unserem Hyperkapitalismus ist die Schlange geradezu subversiv.
Noch fünf, dann kann ich rein in den Baumarkt. Ich könnte aber auch nochmals eine Runde drehen – statt rein zurück zum Anfang der Schlange gehen? Schliesslich gibt es noch viel, worüber ich nachdenken könnte.