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Corona – Beginnt jetzt die schwierigste Zeit?
Aus Club vom 12.05.2020.
Bild: KEYSTONE/Laurent Gillieron abspielen. Laufzeit 1 Minute 17 Sekunden.

Alltag mit Corona Warum wir Makel in Kauf nehmen sollten

Selbst in Krisenzeiten kann der Mensch nicht anders: Er will unbedingt besser werden – und anderen bei der Optimierung helfen. Muss er das?

«50 Branchli, 2 Mokka-Joghurt, Zwieback (nicht Vollkorn!), ein Pack Fleischkäse und einen Salami – gerne. Citterio, ganze Wurst, nicht geschnitten.»

Seit ein paar Wochen kaufe ich für meine Mama ein. Mit ihren 68 Jahren ist sie eine sehr rüstige Rentnerin. Trotzdem: Mitglied einer Risikogruppe. Mit einem gesunden Appetit auf nicht so gesunde Sachen.

«Und wo ist das Gemüse?», frage ich, wenn ich ihre Liste per Whatsapp kriege. «Okay. Zwei Bananen und zwei Karotten noch», antwortet sie dann bockig (weil ohne Emoji). Die Tochter hat gesprochen. Das Ernährungs-Problem ist soweit gegessen. Bis die nächste Liste kommt.

Der ungewohnte Blick durchs Brennglas

Das Paradoxe am Social Distancing: In Krisenzeiten rücken wir Menschen noch näher, denen wir schon nah waren. Wir gehen für Eltern einkaufen, verbringen mit dem Freund, der jetzt echt mal die Fingernägel schneiden könnte, noch mehr Zeit auf dem Sofa, oder stossen ständig per Zoom mit Freuden an, die wir sonst jedes Schaltjahr treffen.

Diese neue Nähe macht uns aufmerksam auf Dinge, die uns sonst aus freundschaftlicher Ferne nicht stören. Doch jetzt sind sie – zack! – sichtbar: diese Makel und Maröttchen, die man doch bitte ausmerzen könnte.

In Krisenzeiten wird der Mensch zum Consultant. Wir nörgeln an anderen, an der Umgebung – und nicht zuletzt: an uns rum. Hier ein Stäubchen, da ein Spleen, dort ein Speckröllchen. Es könnte doch echt alles besser – ja besser perfekt – sein. Aber muss es das wirklich?

Einfach mal gut sein lassen

«Perfektion ist Lähmung», sagte der gute alte Winston Churchill, den ich natürlich nicht näher kannte. Meine Wenigkeit ist mit dem grossen Staatsmann einverstanden. Von mir aus können wir auf die Perfektion pfeifen.

Bitte nicht falsch verstehen: Stagnation bringt keinen weiter. Lethargie ist irgendwie lahm. Aber das Streben nach Perfektion – muss das sein? Gut durchs Leben kommen, gut zu anderen sein, sich vielleicht mal verbessern – das reicht doch schon.

Ein bescheidener Tipp deshalb meinerseits (dafür brauchen Sie keinen Youtube-Yogi): einfach mal entspannt bleiben. Sonst kommen wir alle mit dem Streben nach Perfektion erst recht auf die Krise.

Übrigens: Meine Oma bestellte kurz vor ihrem Ende im Spital noch ein Bier und Mortadella. Ein unmöglicher Wunsch, der ihr dann noch auf dem Plastiktablett serviert wurde. Sie war selig. Und um Gottes Willen: Früher war nicht alles besser. Aber so möchte ich auch gerne enden. Als guter, nicht als perfekter Mensch – fidel und selbstbestimmt.

Sendung: SRF 1, Der Club, 12.5.2020, 22:20 Uhr

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