Deutschschweizer gehen gern. Sagen sie. Er geht einkaufen. Sie geht mit der besten Freundin in die Berge und nächstes Jahr vielleicht nach Australien. Im Sommer ging man gemeinsam ans Meer. Damals, als das noch ein wenig angesagter war als heute.
Die Hochdeutschen waren uns da schon immer einen Schritt voraus. Die sagen ehr- und redlich «fahren», wenn sie mit dem Wagen nach Berlin oder Bonn, Wuppertal oder Wanne-Eickel «gehen». Oder rasen. Düsen! Hauptsache: Motor.
Das Corona-Cabrio
Tatsächlich fahren auch Herr und Frau Deutschschweizer mehr Auto, als sie sich sprachlich in den Hosensack lügen. Viel mehr. Erst recht seit dem Ende dieses langen und unlustigen Lockdowns, der kein richtiger war.
Man pendelt wieder per PKW. Man fährt mit dem Kleinwagen zum Grossverteiler um die Ecke. Man «geht» jetzt mit dem Mietauto zu den Schwiegereltern nach Schwamendingen oder Schwerzenbach. Pläne für die Sommerferien in der Schweiz? Mehrfachantwort aus erwachsenem Munde: Wir rollen auf allen Vieren durchs Land.
Ich kenne sogar Leute, die Leute kennen, die sich – angeblich aus Sicherheitsgründen – nach wiedergewonnener Beinfreiheit als erstes ein neues Wägelchen angelächelt haben, das sie ihr «Corona-Cabrio» nennen. Ich bin nun wirklich für jede alberne Alliteration zu haben. Aber Corona-Cabrio?
Schlangen in der Stadt
Stockender Kolonnenverkehr. Stau, und das am heiterhellen Nachmittag: Ich bin nachhaltig schockiert, wenn ich runter in die Stadt radle und sehe, wie da mehr steht als geht. Giftschlangen, grummelt's in mir. Sieht ja aus, als wäre man in den Tropen gelandet und nicht in Downtown Turicum.
Soll mir bloss keiner sagen, das seien alles Handwerker, die nicht auf ihre systemrelevanten Montagewagen verzichten können, oder Frauen in Hybrid-Hondas, die ihren werten Risikogruppen-Gatten notfallmässig beim Friseur einchecken müssen. Wie wird das erst, wenn sich die Schweizer zum Ferienstart in Sommerfrischlinge verwandeln, oder wie das heisst?
Gegensteuer geben
Der öffentliche Verkehr scheint gerade auf der Strecke zu bleiben. Neulich sass ich in einem fast leeren ICE nach Irgendwo und versuchte vergeblich, den Abschnitt eines Artikels zu lesen, in dem ich mich selbst zum Affen machte.
Das ging lustigerweise nicht, also das mit dem Lesen: Meine Brille hatte sich beschlagen – die benebelnde Nebenwirkung des modischen Mundschutzes, den ich als zirka einziger in meinem Wagen trug.
Ich hoffe nur, dieses Stück Stoff im Gesicht, das wir ja ab Montag völlig richtigerweise nicht mehr aus freien Stücken tragen, ist nicht der einzige ungute Grund, warum wir so vorschnell ins Auto steigen. Denn ohne ÖV kommen wir auch nicht weiter.