Zu heiss, zu eng, Viren-Paranoia: Diesen Sommer kriegt mich keiner in die Badi. Zur entspannenden Oase habe ich den kühlen Wald auserkoren. Jede Woche ziehe ich deshalb los, um joggend, wandernd oder spazierend meinen Kopf freizubekommen. Liegt ja im Trend, das Baden im Wald.
Auch in der Schweiz wird Waldbaden in Workshops angeboten, bei denen die Natur zum Zwecke der Gelassenheit mit allen Sinnen erlebt werden soll.
Nur: Tut's nicht auch ein normaler Spaziergang? Und wie funktioniert das alles in Zeiten von Corona? Das weiss Zoë Lorek, Leiterin des Waldbaden Institut Schweiz.
SRF: Sie bieten Ihre Waldbaden-Kurse seit Corona auch online an. Wie muss man sich das vorstellen?
Zoë Lorek: Die Teilnehmenden bekommen jede Woche Anleitungen zum achtsamen Schlendern im Wald, Meditieren und Atemübungen als Audiofiles geschickt. Als Ergänzung gibt’s Texte zum Download.
Das Ganze ist entstanden, weil mich eine Frau gebeten hat, das angeleitete Waldbaden auch während des Lockdowns weiterzuführen. Ihr ging es nicht gut und sie sehnte sich nach Ruhe und Stabilität.
Ich habe noch nie so viele Menschen im Wald getroffen, wie in den vergangenen drei Monaten. Warum?
Ja, ich glaube wir spüren mehr denn je, dass der Wald ein wohltuender Rückzugsort ist. Die Luft ist frisch, die Temperaturen angenehm. Unser Nervensystem fährt dank der Terpene – das sind von den Bäumen ausgestossenen Duftstoffe – herunter.
Das gedämpfte Licht, die Farben, die Geräusche der Blätter und umliegenden Gewässer unterstützen den entspannenden Effekt.
Japanischen Studien zeigen sogar, dass sich aufgrund der eingeatmeten Terpene die Anzahl der immunstärkenden Killerzellen im Körper um 40 Prozent erhöht – und das bereits nach einem Tag im Wald.
Würde mir denn ein professionelles Waldbad noch besser bekommen als mein normaler Spaziergang?
Es kommt darauf an, welche Bedürfnisse Sie haben: Wollen Sie aus einem Gedankenkarussell aussteigen oder sich eher verausgaben? Der grösste Unterschied zwischen einem Spaziergang und dem Waldbad liegt darin, dass der Fokus beim Baden auf Entschleunigung und Achtsamkeit liegt.
Der Wald ist ein wohltuender Rückzugsort.
Dank dem sehr langsamen Gehen können Ihre Sinne mehr wahrnehmen als bei einem Spaziergang. Das führt zu nachhaltiger Regeneration.
Aber auch nach einem Waldspaziergang fühlen sich Sorgen oft kleiner an. Woran liegt das?
Beim Gehen kann der Blick schweifen. Wir entdecken einen geknickten Ast, berühren ein flauschiges Blatt oder hören das Plätschern eines Baches. Diese unterschiedlichen Sinneseindrücke aktivieren den Parasympathikus, den Teil unseres Gehirns, der für Entspannung zuständig ist.
Welche Stellen im Wald eignen sich besonders gut für ein Bad?
Mitten im Wald und ziemlich genau auf der Höhe unserer Nase ist die Terpen-Konzentration am höchsten. Das zeigen Untersuchungen des japanischen Umweltimmunologen Qing Li. Vor allem im Sommer und nach einem Regenschauer ist das so.
Beim Waldbaden nehmen die Sinne viel mehr wahr als sonst.
Mischwälder bieten natürlich am meisten Abwechslung fürs Auge, ein Bach in der Nähe sorgt für eine spannende Geräuschkulisse. Der Wald sollte auch nicht zu steil liegen, weil es beim Waldbaden nicht um das Erbringen einer Leistung geht. Grundsätzlich ist aber jeder Aufenthalt im Wald gut für uns.
Könnte ich theoretisch auch im Stadtpark waldbaden?
Selbstverständlich! Meiner Erfahrung nach ist es aber einfacher, wenn Sie davor bereits ein paar Mal die entspannende Wirkung des Waldbadens in einem stillen Wald für sich entdeckt haben. Mit diesen Erfahrungen im Hinterkopf können Sie den Lärm der Stadt viel besser ausblenden.
Das Gespräch führte Gina Buhl.