Endlich kommt der verspätete Zug in Basel an. Und ich bin drin. Wie üblich habe ich mehrere Bücher, Filme, Serien, ungeklärte Fragen und vor allem viel zu viel Arbeit dabei. Wenn man die Musik in meinen Ohren und das Sandwich in meiner Hand mitzählt, schleppe ich eindeutig zu viel mit mir rum.
Am liebsten würde ich alles gleichzeitig erledigen. Mein erster Gedanke: Bin ich online? Mein zweiter Gedanke: Ich will einfach mal nichts tun. Nothing, nada.
Ist das überhaupt möglich: einfach mal nichts zu tun? Eigentlich tue ich doch immer irgendetwas. Selbst wenn ich nur ein- und ausatme. Sogar wenn wir auf der Toilette sind oder im Bett liegen, können wir Dinge erledigen. Zumindest online einkaufen oder unseren Exfreunden und Exfreundinnen bei Instagram nachspionieren.
Vom Nichtstun gestresst?
Hat es einen Wert, sich ins Abseits zu begeben, gegen den Effizienzkult zu rebellieren? Es gibt immerhin Kurse und Ratgeber, die das Nichtstun als heilsam anpreisen: als eine Art Lifestyle, der durch Meditation und Wellness erreicht werden soll. Dabei soll das Nichtstun völliger Untätigkeit, Burnout und Depression vorbeugen und zu mehr Effektivität und Produktivität befähigen.
Das Produktivitätsdiktat vereinnahmt somit das Nichtstun. Zudem muss man sich Ferien, Ruhezeit, Auszeit erst verdienen. Selbst Gott wird – wie die Bibel bezeugt – erst dann nichts tun, nachdem er in sechs Tagen die Welt erschaffen hat. Das ist auch wohlverdient.
Warum aber nichts tun wollen? Je weniger es mir gelingt, nichts zu tun, umso mehr wächst die Sehnsucht danach. Es muss paradiesisch sein, einfach nichts zu tun. Und ich merke, wie fern mir gerade das Paradies ist. Genau dazu sind aber Adam und Eva im Garten Eden angehalten: am besten nichts zu tun. Und genau das können sie nicht durchhalten, wodurch sie aber zu freien Wesen werden.
Ausbruch aus dem Hamsterrad
Religiöse Traditionen durchbrechen die Binärposition zwischen Tun und Nichtstun, indem sie zwischen der Flucht vor Tätigkeit und der schöpferischen Musse unterscheiden. Letzteres bedeutet eine Art des Sich-Sammelns zur qualitativen Tätigkeit.
Bewusste Ruhe, Musse und Auszeit werden als gelingende Übungen der Lebenskunst begriffen. Sie eröffnen eine acht- und aufmerksame Hinwendung an das Leben. Kann das ein Ausweg aus den Hamsterrädern unserer Welt sein?
Die Schriftstellerin Jenny Odell plädiert in ihrem Essay «Nichts tun» für das Nichtstun als politischen Widerstand gegen die Aufmerksamkeitsökonomie. Der Sabbat im Judentum oder der Sonntag im Christentum repräsentieren diese Einsicht. Auch Pilgern, Beten und Fasten werden als eine Auszeit vom gewohnten Gang des Alltags begriffen.
Nichts tun vs. Untätigkeit
Nichts zu tun ist aber weder eine moralische noch eine religiöse Tugend: Rituale, Gebetszeiten und Normen sind religiöse Verpflichtungen, die keinen Raum für das blosse Nichtstun geben.
Vor dem Nichtstun wird eher gewarnt. Denn Nichtstun als reine Untätigkeit wird mit der Hölle identifiziert. Das verstehe ich gerade sehr gut. Die Hölle soll ein Zustand sein, in dem der Mensch überhaupt nichts tut. Alles widerfährt ihm – leider kaum Gutes. Das ist die schlechte Nachricht.
Ich bin jedenfalls daran gescheitert, nichts zu tun. Aber dafür fahre ich zu meinem Ferienort, um für eine Zeit einfach mal nichts zu tun. Endstation: radikales Innehalten.