Derzeit warten in der Schweiz rund 1450 Menschen auf ein Organ, etwa auf ein Herz, eine Leber, eine Niere. Das Transplantationsgesetz, über das die Schweizer Stimmbevölkerung am 15. Mai abstimmt, würde die Chancen der betroffenen Personen auf eine Organspende verbessern, sagte Gesundheitsminister Alain Berset in der «Arena».
Kern der Vorlage ist die sogenannte erweiterte Widerspruchslösung. Diese sieht vor, dass jemand, der seine Organe nicht spenden will, dies zu Lebzeiten explizit festzuhalten hat. Ist der Wille nicht bekannt, würde man neu davon ausgehen, dass die Person Organe spenden will.
In diesem Fall würden die Angehörigen konsultiert
Wissen die Angehörigen nicht, ob die betroffene Person ihre Organe spenden will, könnten sie der Entnahme nach wie vor widersprechen, wenn sie annehmen, dass die Person das nicht gewollt hätte.
Die Gäste in der Sendung waren sich einig, dass Handlungsbedarf besteht. Der von Bundesrat und Parlament vorgeschlagene Weg war aber höchst umstritten. Im Zentrum der «Arena» stand insbesondere die Frage, wie der tatsächliche Wille einer verstorbenen Person festgestellt werden kann. Gleich zu Beginn kreuzte dabei Bundesrat Berset verbal die Klingen mit Ethik-Professor Peter Kirchschläger.
Es sei nicht erwiesen, dass die neue Regelung zu mehr Organspenden führen werde, sagte Kirchschläger, Professor für theologische Ethik und Mitglied des Referendumskomitees. Stattdessen würde das neue Vorgehen der Widerspruchslösung einen «fundamentalen Paradigmenwechsel» darstellen.
Nicht mehr Organspenden wegen Gesetz?
Ungeachtet der Tatsache, dass die Widerspruchslösung nicht zielführend sei, verletze sie die Grundrechte eines liberalen Rechtsstaates, führte Kirchschläger aus. «Der Staat greift wie bei einem Ersatzteillager einfach zu.»
Es sei nicht haltbar, dass das Grundrecht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit nur noch gelte, wenn es aktiv eingefordert wird. «Das ist ethisch höchst problematisch.» Ein Hauptproblem liege in der umfassenden Information der Bevölkerung, so Kirchschläger.
Wenn keine Angehörigen konsultiert werden können, werden auch keine Organe entnommen.
«Es kann niemand garantieren, dass alle Bevölkerungsgruppen von der neuen Lösung erfahren.» Man müsse damit rechnen, dass gewisse Menschen automatisch zu Spendern würden, ohne dass sie das wollten.
Gegnerseite sagt, Druck auf Angehörige nehme zu
Die erweiterte Widerspruchslösung sei mit den Grundrechten des liberalen Rechtsstaates durchaus vereinbar, widersprach FDP-Nationalrätin Regine Sauter. Überdies brächte die neue Regelung für die Angehörigen eine Entlastung. Diese könnten neu davon ausgehen, dass die betroffene Person grundsätzlich mit einer Organspende einverstanden ist, wenn sie sich zu Lebzeiten nicht dagegen ausgesprochen hat.
«Es ist eine Illusion zu glauben, dass der Druck für die Angehörigen verschwindet», sagte Susanne Clauss, Co-Präsidentin des Referendumskomitees. Die Pflegefachfrau und Hebamme ist überzeugt, dass es einen gesellschaftlichen Wandel geben werde.
Es ist ein grosser Unterschied, ob der Staat mich unter Druck setzt, meine Organe herzugeben, oder mir die Möglichkeit gibt, mich zu äussern.
Die Angehörigen würden sich bei einer Entscheidung einem erhöhten Druck ausgesetzt sehen, einer Organspende zuzustimmen, um nicht als «unsolidarisch» dazustehen. Das Referendumskomitee wies immer wieder auf das sogenannte Erklärungsmodell als mögliche Alternative hin. Hierbei würde die Bevölkerung wiederholt zum Thema «Organspende» befragt.
Sauter ortet hier einen Widerspruch
Wenn das Erklärungsmodell sicherstelle, dass sich jeder Schweizer und jede Schweizerin zur Organspende äussern kann, bedeute das auch, dass es Wege gibt, alle zu erreichen. Die umfassende Information der Bevölkerung liesse sich folglich bei einem Ja zum Transplantationsgesetz bewerkstelligen.
Wir, die noch eine Chance auf ein Leben haben, werden manchmal etwas vergessen.
Zur Sendung eingeladen war auch Michelle Hug, die selbst ein Spenderherz hat. «Ich finde es wichtig, dass man an die Verstorbenen denkt, aber wir, die wir noch eine Chance auf ein Leben haben, werden manchmal etwas vergessen», sagte sie.
Die Wahrscheinlichkeit, dass man einmal ein Organ brauche, sei sechsmal höher, als dass man zum Spender werde. Dem pflichtete Sauter bei: «Wenn es selbstverständlich ist, dass man ein Organ bekommt, wenn man im Krankheitsfall eins braucht, müsste es eigentlich auch selbstverständlich sein, dass man beim Tod seine Organe spendet.»
Keine parteipolitische Abstimmung
Die Sendung zeigte: Bei der Abstimmung zum Transplantationsgesetz stehen jenseits der Parteiparolen auch sehr persönliche Fragen im Zentrum. «Wenn eine Abstimmung nicht parteipolitisch diskutiert werden kann, dann diese», sagte Bundesrat Berset.
Wie die Stimmbevölkerung entscheidet, zeigt sich am 15. Mai 2022. Gemäss jüngster GFS-Umfrage sprechen sich gut drei Fünftel der befragten Stimmberechtigten für die Änderung des Transplantationsgesetzes aus.