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Essstörungen bei Männern Wie zeigen sich Essstörungen bei Männern?

Bei Essstörungen denken viele zuerst an junge Frauen. Doch eine neue Studie zeigt: Auch Jungen und Männer sind betroffen – und zwar viel häufiger als bisher angenommen. Mehr als jeder fünfte junge Mann in den USA und in Kanada erfüllt die Kriterien für eine Essstörung. Wie verbreitet ist dies in der Schweiz? Das weiss Roland Müller. Der Psychologe und Psychotherapeut befasst sich mit Essstörungen bei Männern.

Roland Müller

Psychologe und Psychotherapeut

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Der Psychologe und Psychotherapeut befasst sich seit längerem mit Essstörungen bei Männern und engagiert sich auch in einem Verein für dieses Thema.

SRF: Spüren Sie in Ihrem Alltag, dass Männer häufiger betroffen sind, als man denkt?

Roland Müller: Wir haben in der niederschwelligen Beratung mittlerweile eine Zunahme von etwa fünfmal mehr als noch vor ein paar Jahren. Wir reden hier aber nicht von Hunderten Personen – waren es vor fünf Jahren vielleicht zwei oder drei, sind es jetzt zehn bis fünfzehn Anfragen pro Jahr, die von Männern kommen.

Die Studie kritisiert, Essstörungen würden bei Männern häufig übersehen. Ist dies in der Schweiz ähnlich?

Das hat unter anderem damit zu tun, dass sich die Forschung für Essstörungen bis in die 1970er Jahre vor allem mit Frauen beschäftigte und die Diagnosekriterien auch auf Frauen ausgelegt waren.

Können Sie das etwas erklären?

Zum Beispiel war es bis in die 70er Jahre nur dann möglich, die Diagnose einer Magersucht zu stellen, wenn die Regelblutung ausgesetzt hat. Ergo konnte der Mann nicht mit einer Anorexie diagnostiziert werden. Wir haben hier eine grosse Stigmatisierung, die nach wie vor herrscht und die erst langsam aufgeweicht wird.

Sehr traditionelle Sozialisierungsnormen beinhalten, dass Männer nicht über ihre Probleme reden, weil das als unmännlich angesehen wird.

Erkennt man auch weniger schnell, dass ein Mann eine Essstörung hat?

Ja, und das hat auch damit zu tun, dass sich bei Männern Essstörungen anders zeigen. Es geht mehr um Sichtbarkeit und die Grösse von Muskeln.

Was müsste geschehen, damit solche Männer nicht übersehen werden?

Es braucht nach wie vor Sensibilisierung in Bezug auf Fachpersonen sowie auch auf potenziell Betroffene. Gerade wenn es um Muskelaufbau geht, Bewegung und Sport ein wichtiger Faktor ist. Was damit zu tun hat, wird zuerst als gesund angesehen. Aber darunter kann sich auch ein Störungsbild verbergen.

Woher kommt dieses Tabu?

Es kommt einerseits daher, dass wir diese Stigmatisierung haben, dass Essstörungen etwas Weibliches wären. Zum anderen liegt es aber auch an den nach wie vor stark ausgeprägten Sozialisierungsnormen von Männern. Wenn diese sehr traditionell sind, beinhalten sie auch, dass Männer ihre Gefühle unterdrücken und nicht über ihre Probleme reden, weil das als unmännlich angesehen wird.

Die Fitnessindustrie normiert die männlichen Körper mehr und will dadurch mehr Kunden gewinnen.

Wie sollen Personen reagieren, wenn sie Verdacht schöpfen?

Es ist immer lohnenswert, das Gespräch anzubieten, ohne Druck zu machen. Zu versuchen, das, was man bei der anderen Person sieht und was man mit einem möglicherweise Betroffenen bespricht, nicht zu sehr zu werten.

Wären Gesundheitskampagnen auch ein Weg, um Menschen mit Essstörungen zu helfen?

Davon bin ich absolut überzeugt. Und es gibt auch schon Bestrebungen, hier noch mehr Aufklärungsarbeit von der öffentlichen Hand zu leisten und generell darüber zu informieren, was Essstörungen bei Männern sind, wie die sich zeigen und auch einzuladen, sich mehr Hilfe zu holen.

Wie erklären Sie sich, dass die Zahlen in der letzten Zeit angestiegen sind?

Es gibt einen gesellschaftlichen Einfluss, in dem die Fitnessindustrie mit Marketing die männlichen Körper mehr normiert und dadurch mehr Kunden gewinnen will. Zudem gibt es mittlerweile eine gewisse Öffnung von Männern, die bereit sind anzusprechen, was sie beschäftigt. Allerdings sind wir immer noch ganz am Anfang einer wichtigen Entwicklung, die noch nicht abgeschlossen ist.

Das Gespräch führte Yves Kilchör.

Studie

SRF 4 News, 24.4.2025, 16:45 Uhr ; 

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