Jede fünfte Frau in der Schweiz hat schon sexualisierte oder häusliche Gewalt erlebt. Dies ergab eine Umfrage vom Forschungsinstitut GFS im Jahr 2019. Aber nur die Hälfte der Betroffenen gaben an, überhaupt mit jemandem darüber gesprochen zu haben. Die Schweiz hat sich mit dem Unterzeichnen der Istanbuler Konvention dazu verpflichtet, die Bevölkerung mehr auf die Problematik zu sensibilisieren und bessere (rechts)medizinische Versorgung zu gewährleisten.
Zum Beispiel durch die Arbeit von Forensic Nurses. Dominice Häni ist eine davon.
SRF: Wie sieht so ein «normaler» Arbeitstag bei Ihnen aus?
Dominice Häni: Es gibt im Kanton Zürich seit Frühling eine Hotline, bei der sich Spitäler, Praxen, aber auch Direktbetroffene von sexualisierter oder häuslicher Gewalt melden können. Diese Anrufe kommen dann bei meinen Kolleginnen und mir aufs Handy rein.
Und dann?
«Forensic» bedeutet, wir sichern Spuren am Körper von Betroffenen von sexualisierter oder häuslicher Gewalt und dokumentieren Befunde. «Nursing» heisst, dass wir geschult darauf sind, traumatisierte Personen oder Menschen, die gerade Gewalt erlebt haben, anfänglich zu betreuen.
Gewisse Hilfsmittel zur Spurensicherung sind wie die aus den Krimis.
Wenn beispielsweise ein Spital mich kontaktiert und meldet, dass sie eine betroffene Person haben, dann höre ich mir zuerst an, worum es geht. Dann rücke ich aus und treffe die Person vor Ort im Spital. Dort kann ich mich mit der Person in einen Raum zurückziehen, sie kann erzählen, was vorgefallen ist und ich erkläre, wer ich bin und was ich für Optionen habe, ihr in der Situation zu helfen.
Zum Beispiel das Sichern von Spuren. Dafür tragen Sie immer einen Koffer bei sich. Was ist da alles drin?
Darin habe ich Hilfsmittel, die ich für das Sichern benötige. Beispielsweise Wattestäbchen. Die kennt man vielleicht aus Krimis. Damit kann ich über die Haut der Person fahren und mögliche DNA-Spuren sammeln, falls die Betroffene zum Beispiel an den Armen gepackt wurde. Es hat forensische Röhrchen für Urin- sowie Blutproben drin, falls die betroffene Person vermutet, dass etwas in das Getränk gemischt wurde. Ich kann auch Haarproben entnehmen, Wunden abmessen und einiges mehr.
Wie gehen Sie bei einer solchen Untersuchung vor?
Wichtig ist hier, auf die Bedürfnisse der Person einzugehen. Was ist ihr wohl, was unwohl? Sie ist auch beim körperlichen Untersuch nie vollständig nackt. Zuerst wird der ganze Hautmantel untersucht. Gibt es Kratzer, Hämatome? Sind Punktblutungen in den Schleimhäuten, hinter den Ohren, in den Augen sichtbar? Das können Hinweise auf Würgen sein. Dann wird alles fotografisch dokumentiert. Das ist wichtig, weil gewisse Spuren, wie Hämatome, Sperma, DNA, schon innerhalb weniger Stunden oder Tage nicht mehr sichtbar sein können. Einen genitalen Untersuch macht aber immer ein Gynäkologe oder eine Gynäkologin. Die Forensic Nurse hält alles Besprochene und Sichtbare in einem Kurzbericht fest.
Was passiert mit den Spuren?
Im Fall vom Kanton Zürich werden die gesammelten Spuren an das Institut für Rechtsmedizin geschickt. Diese bleiben dort mindestens ein Jahr. Die betroffene Person kann sich dann in Ruhe entscheiden, ob sie eine Strafanzeige gegen die Täterschaft machen möchte. Falls dies der Fall ist, können die Spuren analysiert werden.
Was, wenn keine Spuren gefunden werden?
Es ist wichtig, dass Betroffene und ihre Erzählungen ernst genommen werden, egal ob es zur Anzeige kommt oder nicht und auch, ob von der Rechtsmedizin im Material Spuren gefunden werden oder nicht.
Das Gespräch führte Amila Redzic.