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Argentinischer Präsident Milei wettert am WEF gegen Wokeismus

Argentiniens Präsident gibt in Davos den Kulturkämpfer – und sieht den Anbeginn einer neuen Ära in der Politik.

Javier Milei ist ursprünglich Universitätsprofessor. Bei der Präsidentschaftswahl in Argentinien fiel er aber mit Kettensäge, schrillen Versprechungen und ungebändigtem Haarschopf auf. Als Präsident Argentiniens hielt er vor einem Jahr am WEF eine sehr sachliche Rede, in der die Wirtschaftslage eine zentrale Rolle spielte. Diesmal schlägt er andere Töne an.

Milei fühlt sich «umarmt» von der Welt

Milei tritt mit tiefsitzender Brille und grossen Koteletten vors Publikum am Weltwirtschaftsforum in Davos. Der frühere Ökonomieprofessor doziert nicht nur über eine libertäre Wirtschaftsordnung, denn mittlerweile fühle er sich nicht mehr so allein in der Welt und vermehrt verstanden.

«Die Welt hat Argentinien umarmt und ist zum weltweiten Beispiel für eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik geworden», sagt Milei. «Und auch dafür, den Leuten die Wahrheit ins Gesicht zu sagen und darauf zu vertrauen, dass sie es auch verstehen.»

Milei bei seiner Rede am WEF in Davos
Legende: In seiner Rede auf dem Weltwirtschaftsforum wetterte Argentiniens Präsident Milei gegen linke Ideologie, staatliche Regulierung und Geschlechtsangleichung. Keystone/Michael Buholzer

Er habe jetzt überall auf der Welt Freunde, er nennt Musk, Meloni, Netanjahu und Trump und spricht von einer neuen Ära. Seine Rede am WEF widmet er vor allem dem Kulturkampf. Der Feind ist klar, die Kritik diffus: Der Wokeismus, der Genderwahn, der Umweltschutz, die Einwanderung, die Inklusion und die Diversität.

«Die Leute werden verblendet», sagt Milei. Schuld seien die Nichtregierungsorganisationen, die Universitäten und die Regierungen. Ebenso kritisiert er die Banken, die ihm zufolge gerettet werden mussten, die politischen Eliten, die sich bereichern.

Die Welt solle Argentiniens Beispiel folgen

Der Staat solle die Freiheit des Individuums als höchstes Gut schützen und möglichst nicht eingreifen. Denn jegliche Belastungen des Steuerzahlers sind für Milei ein Eingriff in dessen Freiheit. Er spielt damit zum Beispiel auf Behörden an, die sich gegen die Diskriminierung von Frauen oder LGBTQ-Gruppen einsetzen. Denn die Gleichheit vor dem Gesetz bestehe ja bereits.

Argentinien habe seine Ketten gesprengt und er lade die ganze Welt ein, Argentinien zu folgen. Er skandiert «Freiheit, Freiheit, Freiheit verdammt noch mal». Das Publikum klatscht höflich, Milei schreitet von der Bühne und wird von der spanischsprachigen Presse belagert.

«Unter Milei wird Unsagbares wieder salonfähig»

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Teresa Delgado, Südamerika-Korrespondentin von SRF.
Legende: Teresa Delgado, Südamerika-Korrespondentin von SRF. SRF

SRF-Südamerika-Korrespondentin Teresa Delgado hat Mileis Auftritt am WEF aus Chile verfolgt. Sie hat eine «Rede im typischen Milei-Stil gehört – sie war nämlich sehr provokativ». Der Aufritt beweise einmal mehr, dass Milei mit seiner Wirtschaftspolitik auch ideologische Ziele verfolge. «Er zielt auf einen Kulturkampf ab.»

Milei beschwor in seiner Rede immer wieder die Freiheit. Seine Politik zeige aber, dass «sein» Freiheitsbegriff nicht für alle Argentinierinnen und Argentinier gleichermassen gelte, sagt Delgado: So streiche er etwa Gelder für Frauenhäuser und die Opfer häuslicher Gewalt, obwohl der Machismo in Argentinien noch immer verbreitet sei. Ebenso schaffe Mileis diskriminierende Rhetorik gegenüber LGBTQ-Personen ein Klima, indem «Unsagbares wieder salonfähig» werde. «Mileis Weltsicht ist eine populistische Schwarz-Weiss-Sicht, ein links gegen rechts, Sozialismus gegen Kapitalismus – ohne Nuancen, ohne Differenzierung, ohne ein Anerkennen der Komplexität mit ihren vielen Graustufen, die unsere Welt ja auch hat.»

Aber wirken seine wirtschaftlichen Rezepte auch? Im Wahlkampf hat Milei versprochen, die argentinische Wirtschaft wieder aufzurichten. Einen Teil dieses Versprechens hat er eingelöst: So hat er die Inflation im Land im ersten Jahr seiner Präsidentschaft gebremst. Dies hat er vor allem mit strengen Sparmassnahmen geschafft. Der Internationale Währungsfonds (IWF) lobt seine Reformen, so etwa beim Arbeitsrecht. «Dass die Inflation gebremst ist, ist ein Erfolg für Milei und das muss man ihm zugutehalten», sagt Delgado. «Erreicht hat er das auch mit Massenentlassungen. So hat er bereits die Hälfte aller Ministerien in Argentinien geschlossen.»

Die monatliche Inflation lag zuletzt bei unter drei Prozent. Das sei ein erfreulich tiefer Wert, schätzt Delgado. «Aber die jährliche Inflationsrate beträgt immer noch rund 200 Prozent. Es ist also nicht so, dass die Inflation jetzt schon vollständig gebändigt wäre.» Zudem sei die Armutsrate in Argentinien wegen der Inflation und wegen Mileis Sparmassnahmen weiter hoch. «Die Lebenshaltungskosten sind auf sehr hohem Niveau gebremst, aber das Leben ist für die meisten Argentinierinnen und Argentinier weiterhin teuer.»

Rendez-vous, 23.01.2025, 12:30 Uhr;stal

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