Bundespräsident Alain Berset hätte die paar Meter von der Schweizer Botschaft ins deutsche Kanzleramt praktisch in den Hausschuhen gehen können. Doch gemütlich war der Besuch nicht. Die geografische Nähe täuscht über die wachsende Distanz zwischen Bern und Berlin.
Zu direkter Kritik liess sich Kanzler Scholz nicht hinreissen. Und doch war klar, was er meinte: «Dieser Krieg in Europa fordert uns alle auf, unser Selbstverständnis kritisch zu prüfen und mitunter auch zu unbequemen, aber richtigen Entscheidungen bereit zu sein.» Könnte heissen, auch die Schweiz müsse ihre Komfortzone verlassen.
Unterkühlte Atmosphäre
Der gemeinsame Auftritt der Sozialdemokraten wirkte etwas unterkühlt. Dabei gehört Kanzler Olaf Scholz mit seiner Zurückhaltung bei den Waffenlieferungen an die Ukraine – manche würden sagen, seinem Zögern – bestimmt nicht zu den «gewissen Kreisen», in denen Berset in der NZZ am Sonntag einen «Kriegsrausch» spürte.
Das strikte Nein aus der Schweiz zu Waffenlieferungen – selbst für die Bestände der Bundeswehr – stösst auf wenig Verständnis.
Das Unverständnis nimmt zu
Als Schweizerin bekommt man oft Lobeshymnen auf die eigene Heimat zu hören. Doch seit einiger Zeit taucht da auch die Frage auf, weshalb die Schweiz Deutschland hindere, ihrerseits Hilfe in der Ukraine zu leisten.
Es wäre gerecht und hilfreich, wenn die Schweiz die Weitergabe von Waffen ermöglichen würde, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck, angesichts der Tatsache, dass die schweizerische Neutralität und das Kriegsmaterialgesetz dies verbieten.
So sehen das viele. Sie lehnen nicht die schweizerische Neutralität ab, aber es fehlt das Verständnis in diesem konkreten Fall eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs.
Happige Vorwürfe
«Neutral bedeutet nicht egal» schrieb der Schweizer Botschafter in Berlin, Paul René Seger, in einem Gastbeitrag im «Spiegel». In seiner Reaktion auf einen Kommentar wehrte er sich gegen «Generalverdacht» und «Anschuldigungen». Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt unter dem Titel «Störfall Schweiz» mit Hinweis auf Waffenlieferungen an die Nazis, die Schweiz habe sich «in diesen Dingen schon öfters sehr geschmeidig gezeigt».
Der Vorwurf der G7-Staaten, die Schweiz setze die Sanktionen gegen russische Oligarchen nicht richtig um, verleiht dem Ganzen zusätzliche Brisanz. Bern wird vorgeworfen, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch zu profitieren, nicht aber solidarisch und verlässlich zu sein.
Der gute Wille Berlins wird herausgefordert
Der Goodwill der deutschen Regierung Bern gegenüber hat schon gelitten, weil die Schweiz das Rahmenabkommen mit der EU platzen liess. Die Türen in Berlin für die Anliegen der Schweiz stehen wohl nicht mehr ganz so weit offen wie auch schon.
Wenn Bern es nicht schafft, sich besser zu erklären, dann wird die traditionelle Verbundenheit Berlins mit dem Nachbarn im Süden ganz schön herausgefordert.