Marokko hat jahrelang systematisch und mit viel Geld EU-Abgeordnete beeinflusst. Das hat eine Recherche des Magazins «Spiegel» offengelegt. Dabei ging es Marokko bei der Lobby-Arbeit darum, dass die EU die umstrittene Westsahara als marokkanisches Staatsgebiet anerkennt. Die grösseren Zusammenhänge erläutert die Marokko-Spezialistin bei der SWP in Berlin, Isabelle Werenfels.
SRF News: Wie stark hat der Korruptionsskandal dem Ansehen Marokkos in Europa geschadet?
Isabelle Werenfels: Marokko ist enorm unter Druck geraten. So hat das EU-Parlament eine Resolution verabschiedet, welche die Freilassung von Journalisten verlangt und die auf die Freiheitsdefizite in Marokko hinweist.
Das gute Image Marokkos ist in Europa zweifellos angeknackst.
Das gute Image des Landes ist zweifellos angeknackst in Europa. Marokko versucht dem mit Härte und Drohungen zu begegnen; aber auch mit Gesten, wie etwa jener, Panzer in die Ukraine zu liefern. Dies im Wissen darum, dass das in der EU gut ankommt.
Warum hat Marokko über Jahre so viel Aufwand betrieben, um in der EU ein gutes Image zu haben?
In erster Linie geht es ihr um die Westsahara. Marokko werde zu keinem Staat eine vertiefte Beziehung eingehen, welcher nicht anerkenne, dass das südliche Gebiet zu Marokko gehöre, sagte der marokkanische Aussenminister kürzlich.
Europa ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner Marokkos.
Doch für die politische Stabilität der Monarchie sind auch wirtschaftliche Perspektiven für die marokkanische Bevölkerung absolut essenziell – und Europa ist der mit Abstand wichtigste Handels- und Investitionspartner. Hinzu kommen massive Auswirkungen des Klimawandels sowie die Absicht, bei der Energiewende eine wichtige Rolle spielen zu wollen. Marokko ist also auf Investitionen, Unterstützung und Kooperation mit der EU angewiesen.
Mit welchem Ziel genau sucht Marokko nach Investitionen aus dem Ausland?
Die Palette ist sehr breit. Stark im Fokus steht derzeit allerdings der grüne Wasserstoff. Marokko möchte bei der Produktion von Wasserstoff aus Sonnenenergie Vorreiter auf dem afrikanischen Kontinent werden. Schon ab 2026 soll die Produktion hochgefahren werden.
Algerien verfügt über Erdöl und Erdgas – deshalb wird es von der EU hofiert.
Ausserdem geht es um die Produktion von Autos, wobei Marokko stark mit Algerien und Tunesien konkurriert. Und: Auch Algerien möchte grünen Wasserstoff produzieren, hat aber schlechtere Rahmenbedingungen als Marokko. Allerdings verfügt Algerien über die in Europa begehrten Rohstoffe Erdöl und Erdgas – deshalb wird Algerien von der EU hofiert.
Algerien und Marokko sind historische Rivalen, 1963 kam es sogar zu einem Krieg um den Grenzverlauf. Seit anderthalb Jahren sind die diplomatischen Beziehungen eingefroren. Wie reagiert der Nachbar auf den Korruptionsskandal im EU-Parlament und die Vorwürfe gegen Marokko?
Das wird in Algerien natürlich genüsslich gefeiert. Dabei geht es wohl auch um Ablenkung von eigenen Defiziten, denn auch in Algerien werden die Freiheiten stetig eingeschränkt, kritische Journalisten sitzen im Gefängnis.
Marokko und Algerien kämpfen stetig um Anerkennung, Prestige und Status, was die Beziehungen zu Europa angeht.
Doch die Konkurrenz darum, wer die besseren Beziehungen zur EU hat, ist gross. Kürzlich besuchte der französische Präsident Emmanuel Macron Algerien, doch in Marokko war er noch nie. Entsprechend reagierte Marokko darauf etwas verstimmt. Es ist ein permanenter symbolischer Kampf zwischen den beiden Nachbarländern um Anerkennung, Prestige und Status, was die Beziehungen zu Europa angeht.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.