Worum geht es? US-Präsident Joe Biden ist nach seiner Visite in Kiew im Nato-Mitgliedsland Polen eingetroffen, wo er am Dienstag in Warschau unter anderem Präsident Andrzej Duda trifft. Spätestens seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs ist Polen ein zentraler Akteur in der Nato: «Polen ist inzwischen ein Eckpfeiler der Nato geworden», sagt der diplomatische Korrespondent von SRF, Fredy Gsteiger.
Zwar sei die Machthierarchie in der Nato nach wie vor klar: An der Spitze stehen mit grossem Abstand, laut Gsteiger, die USA, danach kommen Frankreich und Grossbritannien, die beide Atommächte sind und früher sei nach ihnen Deutschland gekommen. Deutschland war ein Frontstaat zur damaligen DDR. «Inzwischen hat aber Polen militärisch Deutschland sowie Italien, Spanien und Kanada überholt.»
Wieso hat Polen seine Verteidigungskräfte aufgerüstet? Dies sei auf die russische Annexion der Krim 2014 zurückzuführen, sagt Gsteiger. Polen ist eines der wenigen Länder, die das Nato-Ziel, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für Verteidigung auszugeben, seit Jahren erreichen und sogar übertreffen.
Polen ist 1999 der Nato beigetreten. Wieso spielt Polen zwanzig Jahre später eine so wichtige Rolle? «Das hängt damit zusammen, dass sich die Aufmerksamkeit der Nato wieder nach Osten richtet. Und das wiederum ist Russlands neuer Aggressivität unter Wladimir Putin zuzuschreiben», sagt Gsteiger. Eine Konsequenz davon sei, dass es nun deutlich mehr Nato-Präsenz in Osteuropa gebe.
Wie viele Nato-Truppenangehörige sind in Osteuropa aktuell stationiert? Andere Nato-Staaten hatten bis zum Einmarsch Russlands in die Ukraine rund 10'000 Truppen in osteuropäischen Nato-Staaten stationiert. Nun sind es rund 40'000 Soldatinnen und Soldaten. Im Vergleich zur Mobilisierung Russlands auf der anderen Seite der Grenze sei dies immer noch wenig. Die Truppen sind rotierend im Baltikum, in Polen, in Rumänien und in den anderen osteuropäischen Staaten stationiert.
Übernimmt Polen seit Russlands Einmarsch in die Ukraine mehr Verantwortung in der Nato? Dies bejaht Gsteiger. Aufgrund der geografischen Lage sei Polen prädestiniert, Versorgungswege Richtung Ukraine und Richtung Baltikum – sollte dieses einmal angegriffen werden – offenzuhalten. Polen ist auch ein Frontstaat gegenüber Belarus.
«In Polen ist im Vergleich zu anderen Ländern der politische Willen grösser als in anderen Ländern, die Ukraine massiv zu unterstützen. Polen liefert auch Waffen und vertritt die Interessen der Ukraine in der Nato», sagt Gsteiger. Polen sei auch besonders grosszügig, wenn es darum gehe, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen.
Es gab zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Pläne der Nato, Russland anzugreifen.
Bedrohen die Truppen der Nato die Sicherheit Russland in Osteuropa? Das sei nur ein Vorwand von Russland gewesen, um die Ukraine anzugreifen, meint Gsteiger. «Die Nato hatte nie genug Truppen dort, um Russland offensiv anzugreifen. Es gab auch zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Pläne der Nato, Russland anzugreifen.» Die Nato sei eine Allianz von dreissig Demokratien; wenn es Angriffspläne gegen Russland gegeben hätte, wären die niemals geheim geblieben.