Seit Tagen vernehmen wir aus den Gemächern des britischen Königshauses erstaunliche Dinge: Der Kronprinz soll seinen Bruder verprügelt haben. Dieser wiederum konsumiert offenbar psychedelische Drogen und hasst seine Stiefmutter. Dinge, die wir eigentlich gar nicht so genau wissen wollten.
Trotzdem dominieren die Enthüllungen seit Tagen die britischen Medien. Die Bekenntnisse von Prinz Harry sind heute weltweit in Buchform erschienen. Sie sind längst nicht nur Stoff für royale Voyeure, sondern ebenso Sprengstoff für die Monarchie.
Für jemanden, der die Medien abgrundtief hasst, leistet Harry gerade ganze Arbeit: Seit Tagen füttert der kleine Prinz die britischen Medien verlässlich mit süffigen Details über seine Familie. Doch was wir am Ende davon lernen, ist enttäuschend banal.
Magie der Monarchie leidet
Die Windsors unterscheiden sich, therapeutisch betrachtet, nicht gross von anderen Familien: Man gerät sich gelegentlich in die Haare. Handgreiflichkeiten zwischen Geschwistern gehören durchaus dazu. Die Folgeschäden werden jedoch meistens nicht öffentlich therapiert. Und das ziemt sich eigentlich auch nicht für die Familie Windsor.
Denn der Palast ist nicht die Bleibe einer exzentrischen Kommune, sondern bildet seit dem Mittelalter das Fundament des Vereinigten Königreichs. Eine Institution mit Prestige und Macht. Für die öffentlichen Dramen des britischen Alltags ist das Reihenhaus in Downing Street zuständig.
Der Palast steht für Kontinuität, Tradition und Stabilität. Für die würdevolle Herrschaftsausübung und Vermehrung werden die Palastbewohner von den Untertanen jährlich mit rund 140 Millionen Franken Steuergeldern entschädigt. Die Monarchie lebe von ihrem Mysterium, schrieb einst der englische Verfassungsrechtler Walter Bagehot. Man dürfe nicht zulassen, dass der Zauber vom Tageslicht zerstört werde. Die Magie der Monarchie wurde in diesen Tagen zwar nicht zerstört, aber sie erlitt im medialen Scheinwerferlicht doch einige Brandlöcher.
Königshaus muss «abspecken»
Wenige Wochen, bevor der Vater gekrönt und mit heiligem Öl gesalbt wird, stellt der Sohn seine Familie öffentlich bloss. Man kann es ihm nicht ganz verdenken. Teil einer Sippe zu sein, in der man als Kind nicht öffentlich weinen darf, wenn die eigene Mutter tragisch ums Leben kommt, muss schmerzhaft sein. Und danach lebenslänglich als kostümierter Statist auf Balkonen zu winken und zu lächeln, ist nicht wirklich das, was man als erfüllende Tätigkeit bezeichnen könnte.
Dennoch fällt es laut Umfragen einer Mehrheit der Britinnen und Briten in der aktuellen Wirtschaftskrise gerade ein bisschen schwer, die beiden privilegierten Menschen im fernen Kalifornien als Opfer zu sehen. Deshalb werden die Bekenntnisse des kleinen Prinzen – trotz aller Dramatik – den Palast wohl nicht zum Einsturz bringen. Sie werden aber wohl die Diskussion über einen Prozess befeuern, der in anderen Monarchien schon eingesetzt hat.
Schweden oder Dänemark haben ihre Königshäuser zeitgemäss abgespeckt. Sie haben vorgemacht, wie man blaublütiges Personal, das in der Hackordnung der Thronfolge nach unten gerutscht ist und nicht mehr unmittelbar als «Reserve» infrage kommt, wieder sinnstiftenden Verwendungen zuführen kann. Der Nachwuchs wird in die freie Wildbahn entlassen, wo er frei von königlichen Verpflichtungen und Titeln wieder ins Erwerbsleben integriert werden kann.
Die Britinnen und Briten lieben das Königshaus über alles. Aber noch mehr das Motto «keep calm and carry on».