Die gute Nachricht zuerst: Die Massnahme scheint zu wirken, schon bevor sie in Kraft ist. Während die Regierung am Sonntag die Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte verkündete, standen Impfwillige in einer 200 bis 300 Meter langen Schlange vor der Impfstation im Wiener Stephansdom. Alles gut also? Leider nein.
Denn nicht nur Demonstranten im ganzen Land protestieren gegen die Massnahme, auch namhafte Verfassungsrechtler haben Bedenken. Grund: Damit ein solcher Lockdown verordnet werden darf, muss er zwei Bedingungen erfüllen: Er muss «ausreichend» sein, und «zur Zielerreichung geeignet».
Fraglich, ob Massnahme ausreicht
Beides sei unsicher, sagt etwa Karl Stöger, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Wien. Ob dieser Lockdown ausreichend sei, um die Überlastung der Intensivabteilungen der Spitäler zu verhindern, sei eine medizinische Frage, so Stöger. «Die Frage ist, ob es ausreicht, dass man nur die Ungeimpften in den Lockdown schickt. Wir haben in letzter Zeit von einigen Ärzten gehört, dass sie glauben, es ist zu spät.»
Damit die Massnahme «zur Zielführung geeignet» sei, müssten sich die Leute auch daran halten. Und das gehe nur, wenn es die Polizeibeamten bei den Kontrollen schaffen, zwischen den Geimpften und den Ungeimpften zu unterscheiden. «Wenn das möglich ist, dann geht die Massnahme rechtlich in Ordnung, wenn nicht, dann hat der Lockdown insgesamt ein verfassungsrechtliches Problem.»
Wie sollen Regelbrüche überprüft werden?
Denn die Ungeimpften dürfen ihre Wohnungen weiterhin verlassen, um zur Arbeit zu gehen, um Lebensmittel und Medikamente zu beschaffen, um sich medizinisch versorgen zu lassen oder Drittpersonen in Not zu helfen.
Die Frage bleibt: Ist es den Kontrollbeamten möglich, zu prüfen, ob ein Ungeimpfter seine Wohnung aus einem zulässigen oder einem unzulässigen Grund verlassen hat? Noch dazu, wenn man weiss, dass sich hohe Polizeibeamte dagegen ausgesprochen haben, ihren Leuten diese undankbare Kontrollarbeit zu übertragen.
Verfassungsgerichtshof könnte Regel kippen
Auch in der Politik gibt es Gegenwind für die neuen Massnahmen. Die rechtsnationale Partei FPÖ ist radikal dagegen und spricht von einer «menschenverachtenden Politik». Aber auch die grünliberalen Neos sind gegen die neuen Regeln. Laut ihrer Sprecherin Indra Collini hätten die Massnahmen «im Endeffekt minimale zusätzliche Wirkung auf das Infektionsgeschehen, aber eine maximale Wirkung auf die leidtragenden Betriebe sowie die ohnedies schon gespaltene Gesellschaft».
Das letzte Wort könnte, wie im letzten Jahr, der Verfassungsgerichtshof haben. Dieser kippte gleich mehrmals Verordnungen der Bundesregierung, weil sich diese bei näherer Prüfung als verfassungswidrig erwiesen hatten. So waren namentlich die von der Regierung für März und April 2020 verordneten Ausgangsbeschränkungen im öffentlichen Raum gesetzeswidrig.