Im Osten Deutschlands ist die in Teilen rechtsextreme AfD mit Abstand stärkste Kraft, und auch die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht sind stärker als im Westen. Warum auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung die Menschen in Ost und West immer noch so unterschiedlich wählen, versucht der Politologe Moritz Marbach zu erklären.
SRF News: Warum haben die an den extremen Rändern politisierenden, populistischen Parteien im Osten derart viel Erfolg?
Moritz Marbach: Alle drei Parteien – AfD, Linke und BSW – sprechen das Bild von «denen da oben, die das Volk im Stich lassen» an – wenn auch auf unterschiedliche Art. Das verfängt im Osten Deutschlands.
Warum ist das so?
Einer der Gründe ist die Abwanderung – die Bevölkerung im Osten wird dadurch immer älter. Denn es ziehen vor allem Jüngere und gut Ausgebildete weg – oftmals auch Frauen. Zurück bleiben tendenziell Ältere, schlecht Ausgebildete und Männer. Genau diese Personengruppen wählen überproportional häufig AfD.
Das Gefühl des Abgehängtseins ist vor allem da stark, wo die Abwanderung besonders stark ist.
Hinzu kommt: Wegen der Abwanderung wird es schwieriger, öffentliche Institutionen am Leben zu erhalten wie Gemeindeangebote, Sportmöglichkeiten, Schulen oder ÖV. Das verstärkt die Frustration und Enttäuschung vor Ort. Das Gefühl des Abgehängtseins stellt sich vor allem in jenen Regionen verstärkt ein, die von einer hohen, dauerhaften Abwanderung besonders betroffen sind.
Die AfD hat vor allem mit Asyl- und Migrationsthemen Stimmung gemacht. Warum sprechen gerade diese Themen die Menschen im Osten an?
Ein Grund könnte sein, dass die Menschen dort das Gefühl haben, dass jene Mittel, die für die Integration der Asylbewerber ausgegeben werden, bei ihnen eingespart werden. Dass deshalb bei ihnen öffentliche Angebote gestrichen werden. Damit wird das Narrativ der AfD genährt, dass sich «die Eliten da Oben» nicht für das Volk interessieren.
Migranten ziehen umso weniger in diese Regionen, je höher dort die Zustimmung zur AfD ist.
Könnten nicht gerade diese strukturschwachen Regionen im Osten von der Zuwanderung profitieren?
Das könnten diese Regionen durchaus. Doch Migranten möchten umso weniger in diese Regionen ziehen, je höher dort die Zustimmung zur AfD ist. Und damit wird der Fachkräftemangel im Osten nicht behoben.
Vernachlässigen die anderen Parteien den Osten?
Nach der Wende ist viel in den Osten Deutschlands und in die dortige Infrastruktur investiert worden. Das Problem ist aber, dass seither ein grosser Teil an öffentlichen Angeboten aus Effizienzgründen gestrichen wurde. Das ist ein Fehler – und er wurde sowohl unter Regierungen von Union als auch unter der SPD gemacht. Man sollte jetzt dafür sorgen, dass solche Angebote auch in Gebieten erhalten bleiben, die von der Abwanderung betroffen sind. Nur dann ziehen jene Menschen in den Osten, die das überhaupt in Erwägung ziehen.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.