Am Dienstag hat der deutsche Bundeskanzler Israel besucht – als einer der ersten Regierungschefs seit dem Grossangriff der Hamas auf Israel. Dort wiederholte er, was er wenige Tage zuvor schon im Bundestag gesagt hatte: «Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson.»
Zugleich sprach Scholz Israel erneut das Recht zu, sich zu wehren. «Konkret bedeutet dies, dass Deutschland Israels Recht auf Selbstverteidigung und die daraus folgenden Massnahmen im Gazastreifen unterstützt», hatte er schon im Parlament in Berlin gesagt.
Scholz' Worte sind nicht neu für einen deutschen Regierungschef. Seit der Staatsgründung 1948 stellten sich deutsche Regierungen hinter das Existenzrecht Israels. Angela Merkel erklärte die Sicherheit Israels schliesslich zur «deutschen Staatsräson».
«Der Satz rührt natürlich daher, dass es eine deutsche Verantwortung für die Verbrechen des Holocaust gibt», sagt Jan Busse, der an der Bundeswehr-Universität in München zur deutschen Nahostpolitik forscht.
Staatsräson und Realpolitik
Wie sich die «deutsche Staatsräson» in konkrete Politik übersetzen lässt, präzisierte Merkel damals nicht. «In der Folge war ebendies dann auch Diskussionsthema», erinnert Busse.
Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck relativierte bei einem Israel-Besuch 2012, die Sicherheit und das Existenzrecht Israels seien «bestimmend» für die deutsche Politik. Und: Merkels Wort von der Staatsräson könne die Kanzlerin in «enorme Schwierigkeiten» bringen.
Klar ist für Busse: Die Sicherheit Israels hat eine sehr hohe Priorität in der deutschen Politik. «Faktisch gab es in der Vergangenheit einen wichtigen Einsatz für die Sicherheit Israels.» Dieser drückte sich auch militärisch aus: So hat Deutschland seit Mitte der 90er-Jahre mehrere U-Boote der Dolphin-Klasse an Israel geliefert und mitfinanziert.
«Das Besondere an diesen U-Booten ist, dass sie mit atomwaffenfähigen Marschflugkörpern ausgestattet werden können», sagt der Forscher. «Dadurch stellen sie ein wichtiges Mittel der Abschreckung gegen Feinde dar – insbesondere den Iran.»
«Die Bundesregierung würde aber sicher auch argumentieren, dass ein diplomatischer Beitrag wie bei der Aushandlung des Atomabkommens mit Iran als Beitrag zu Israels Sicherheit betrachtet werden kann», sagt Busse. Selbiges gelte für den deutschen Einsatz für eine Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt.
Für Busse zeigen sich derzeit aber auch die Grenzen der «deutschen Staatsräson». Nach dem Grossangriff der Hamas verlegten die USA zwei Flugzeugträger vor die israelische Küste: Washington zeigt damit, dass es die Sicherheit Israels auch militärisch unterstützen will. «Dagegen bleibt der Bundesregierung nicht viel mehr als Symbolpolitik», schätzt Busse.
Bei der Bewältigung der Krise bringt sich Deutschland derzeit diplomatisch ein. So hat Scholz bereits den Emir von Katar, den jordanischen König und den ägyptischen Präsidenten getroffen. Ebenso ist Berlin darum bemüht, dass sich die humanitäre Lage in Gaza nicht weiter verschlechtert.
«Wenn man das Diktum der ‹Staatsräson› ausbuchstabieren würde, müsste es allerdings auch eine aktive militärische Unterstützung für Israel geben», schliesst Busse. Letztlich könne die Betonung der Staatsräson aber auch nicht im Widerspruch zu anderen Werten stehen, die Deutschland für sich reklamiert: «Insbesondere die Achtung des Völkerrechts.»