Die Bürgermeister dreier Städte im Südosten der Türkei wurden urplötzlich von der Regierung abgesetzt. Es sind Kurden. Die Regierung wirft ihnen Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vor. SRF-Mitarbeiter Thomas Seibert in Istanbul sagt, mit dieser Aktion habe niemand gerechnet.
SRF News: Warum kommt die Absetzung der Bürgermeister für Sie überraschend?
Thomas Seibert: Diese drei Bürgermeister hatten die Kommunalwahlen in ihren Städten im Frühjahr mit hohem Vorsprung gewonnen. Damals wurden schon etliche Bürgermeister im Kurdengebiet unter diversen Vorwänden von den Behörden nicht ins Amt gelassen. Diese drei aber durften ihre Ämter seit den Wahlen im März ausführen. Dass sie in einer Nacht- und Nebelaktion abgesetzt werden, ist überraschend.
Wer sind die drei Bürgermeister?
Sie stehen den grossen Städten im Kurdengebiet der Türkei vor, darunter Diyarbakir, der grössten Stadt im türkischen Kurdengebiet. Betroffen ist auch Ahmet Türk, der Bürgermeister der Stadt Mardin an der syrischen Grenze.
Türk ist bekannt für seine Bemühungen, einen Ausgleich zwischen dem türkischen Staat und den Kurden zu schaffen. Dass ausgerechnet so ein Mann von der Polizei abgesetzt wird, ist eine Sensation in der Türkei.
Wer übernimmt die Macht in diesen Städten?
Das Innenministerium teilt mit, die Gouverneure der jeweiligen Provinzen von Diyarbakir, Mardin und Van würden jetzt die Amtsgeschäfte der Bürgermeister übernehmen. Die Gouverneure in der Türkei sind nicht gewählt, sondern von der Zentralregierung in Ankara eingesetzt. Sie sind Statthalter Ankaras und reflektieren nicht unbedingt den Wählerwillen in diesen Städten.
Verschärft Präsident Erdogan mit diesem Schachzug den harten Kurs gegenüber den Kurden?
Es sieht so aus. Erdogan hatte im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen im Frühjahr zeitweise Signale ausgesandt, die als neue Kompromissbereitschaft den Kurden gegenüber interpretiert werden konnten.
Im Norden Syriens hat ein Ableger der PKK ein kurdisches Gebiet gebildet, das dieser selbst verwaltet.
So erlaubte er dem inhaftierten Chefs der international als Terrororganisation geltenden PKK Abdullah Öcalan Kontakte mit seinen Anwälten und Familienangehörigen. Diese Geste wurde so interpretiert, dass Erdogan auf die Kurden zugehe. Mit dem heutigen Tag ist diese Interpretation nichtig. Das Ganze spielt sich auf dem Hintergrund der Spannungen im Norden Syriens ab. Dort hat ein Ableger von Öcalans PKK ein Gebiet gebildet, das dieser selber verwaltet. Die Türkei sieht diese Autonomiezone als Gefahr für sich selber und droht mit einem Einmarsch.
Stellen die Absetzungen der Bürgermeister eine neue Strategie Erdogans gegen die ganze Opposition dar, nicht nur gegen die Kurden?
In ersten Reaktionen wird dies zumindest angenommen. Es gibt Vermutungen, dass noch weitere Bürgermeister abgesetzt werden könnten.
Die Spekulationen zeigen, was der Regierung zugetraut wird.
Ein Kurdenpolitiker schrieb heute Morgen auf Twitter, möglicherweise seien die Bürgermeister von Istanbul und Ankara als nächste dran. Auch dort haben Politiker gewonnen, die nicht zu Erdogans Regierungspartei AKP gehören und es wurde spekuliert, dass sie möglicherweise abgesetzt werden könnten. Dafür gibt es aber keine Hinweise. Doch diese Spekulationen reflektieren die Stimmung im Land und zeigen, was der Regierung zugetraut wird.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.