Die Vergabe der Spitzenposten in der Europäischen Union folgt einer Logik. Die EU-Staats- und Regierungschefinnen haben im Lichte der Ergebnisse der Wahlen ins Europäische Parlament zu entscheiden. So sehen es die Verträge der EU vor.
Die pro-europäischen Partei-Bündnisse der Christdemokraten, der Sozialdemokraten und der Liberalen verfügen trotz eines Rechtsrutschs im EU-Parlament noch über eine solide Mehrheit im EU-Parlament. Diese drei Parteifamilien sind auch in einer Mehrheit der 27 Mitgliedstaaten an den jeweiligen Regierungen beteiligt, teils in Koalitionsregierungen, in unterschiedlichen Konstellationen.
Das «Machtkartell»
Die europäischen Christdemokraten, organisiert in der Europäischen Volkspartei, die Sozialdemokraten und auch die Fraktion der Liberalen fühlen sich zu Recht legitimiert, unter sich die wichtigsten Posten bei den EU-Institutionen auszumachen. Kritikerinnen mögen das als «Machtkartell» bezeichnen. Doch es spiegelt einfach die realen politischen Machtverhältnisse in der EU wider.
Die pro-europäischen Parteien können zudem darauf verweisen, dass zwei der drei Posten – Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin und Kaja Kallas als Aussenbeauftragte – ja noch vom neu gewählten EU-Parlament zu bestätigen sind. Es fehlt also nicht an demokratischer Legitimation bei der Besetzung der wichtigsten Posten in der EU.
Europakritische Kräfte bleiben gespalten
Die europakritischen Parteien, etwa die Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni, fühlen sich trotzdem übergangen. Sie liegen richtig, wenn sie darauf verweisen, dass das Lager der pro-europäischen Parteien bei jeder Wahl politisch schwächer wird, dass deren Machtkartell erodiere. Dieses Argument ist aber nicht überzeugend.
Die europakritischen Parteien reden viel von stärkerer Zusammenarbeit. Sie bleiben aber unter sich gespalten und können sich nicht auf eine gemeinsame politische Linie verständigen. Das schwächt ihren Einfluss. Also sind sie teilweise selbst schuld, wenn sie bei wichtigen Entscheidungen in der EU weiter ausgeschlossen bleiben. Meloni und Co. konnten keine überzeugenden Alternativen vorschlagen.
Die Vergabe der EU-Spitzenposten ist durchaus im Sinne der Mehrheit der Wählenden. Denn diese entschieden sich bei den Europawahlen Anfang Juni nur für eine leichte politische Kurskorrektur: Etwas weniger Klimapolitik, etwas mehr Fokus auf Migrationsfragen und das Ziel, für mehr Kaufkraft bei den Wählerinnen und Wählern zu sorgen. Eine Mehrheit sprach sich nicht dafür aus, einen grundlegenden politischen Kurswechsel zu vollziehen, den europakritische Parteien versprachen.