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Europa und der Ukrainekrieg Wie Keir Starmer zu einem der wichtigsten Europäer wurde

Der britische Premierminister Keir Starmer ist vom unscheinbaren und innenpolitisch harsch kritisierten britischen Premierminister innert weniger Tage zu einem der wichtigsten europäischen Leader in der Ukraine-Krise geworden. Die Hintergründe kennt SRF-Grossbritannien-Korrespondent Patrik Wülser.

Patrik Wülser

Grossbritannien-Korrespondent

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Patrik Wülser arbeitet seit Ende 2019 in London als Grossbritannien-Korrespondent für SRF. Wülser war von 2011 bis 2017 Afrika-Korrespondent und lebte mit seiner Familie in Nairobi. Danach war er Leiter der Auslandsredaktion von Radio SRF in Bern.

Welche Rolle spielt Keir Starmer im Kontext des Ukraine-Kriegs?

Neben seiner Rolle als Gastgeber, Brückenbauer und Mediator ist Keir Starmer jetzt so etwas wie das letzte Bindeglied in der zerrütteten Beziehung zwischen Washington und Kiew. Aus dem bisher eher hölzern wirkenden britischen Premierminister wurde innert Stunden der wichtigste Vermittler zwischen Europa und der US-Regierung.

Wie kam diese Wandlung Starmers zustande?

Der Eklat im Weissen Haus hat das transatlantische Gefüge fundamental verändert – und Starmer unverhofft in die neue Rolle katapultiert. Noch letzte Woche hatte er Trump in Washington zum Strahlen gebracht – unter anderem mit einer Einladung von König Charles nach Grossbritannien. Nach dem Zank zwischen dem US- und dem ukrainischen Präsidenten telefonierte Starmer umgehend mit Trump – und Selenski, um zu kitten, was noch zu kitten war. Am Samstag empfing er dann Selenski in London mit öffentlich demonstriertem Mitgefühl und Sympathie. Später kündigte Starmer eine «Koalition der Willigen» an, die für Frieden in der Ukraine sorgen will.

Wie geeignet ist Starmer für die Aufgabe?

Den Krieg in der Ukraine zu stoppen, ist eine Hochrisiko-Aufgabe auf allen Ebenen; in so dünner politisch-diplomatischer Luft hat schon lange kein britischer Premierminister mehr gespielt. Die dafür notwendigen Brücken zu bauen, ist sehr anspruchsvoll. Vor allem, wenn am einen Ufer mit Trump eine ziemlich unberechenbare Erdbebenzone herrscht. Starmer ist eine integre Figur – das ist unbestritten. Und das allein ist in der heutigen Zeit eine vielversprechende Eigenschaft.

Stehen die Briten hinter Starmer?

Der Premier erhält sowohl im Parlament als auch in den britischen Medien Zuspruch. Das ist erstaunlich. Denn im britischen Oppositionssystem wird normalerweise keine Gelegenheit ausgelassen, die Regierung und insbesondere den Premier scharf zu kritisieren. Derzeit ist aber die Sympathie in der Sache für Premier Starmer, vor allem aber mit der Ukraine und ihrem Präsidenten Selenski, ungebrochen. Die Frage ist, ob das so bliebe, wenn dann tatsächlich einmal britische Truppen in die Ukraine geschickt werden sollten.

Wird Starmer zur neuen Führungsfigur Europas?

Es ist derzeit sehr schwierig abzuschätzen, ob sich aus den Vorgängen dieser Tage eine neue Führungsrolle in der europäischen Architektur ableiten lässt. Doch auf dem «Klassenfoto» des sonntäglichen Treffens in London ist klar zu sehen, wer derzeit die Leaderfiguren sind: Keir Starmer und Emmanuel Macron. Die beiden haben sich dem Vernehmen nach in den vergangenen Tagen eng und intensiv abgesprochen. Insofern ist Starmer derzeit sicher einer der wichtigsten Protagonisten.

Gruppenfoto von Menschen in Anzügen vor internationalen Flaggen.
Legende: Keir Starmer und Emmanuel Macron führen die Europäer derzeit an (Bild vom sonntäglichen Treffen in London). EPA/Javad Parsa

Sind das auch Annäherungsversuche an die EU?

Vor zwei Jahren hätte niemand gedacht, dass Grossbritannien, der Aussenseiter, zum Leader in einer so wichtigen Sache gemeinsamer europäischer Interessen wird. Im Fokus Starmers dürfte aber nicht die Absicht stehen, Vorteile im Verhältnis mit Brüssel nach dem Brexit zu erlangen. Es geht um existenzielle Fragen und um die Sicherheit Europas. Sicher ist: Das Nicht-EU-Land Grossbritannien ist in der aktuellen Krise zum unverzichtbaren Partner der EU geworden.

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SRF 4 News aktuell, 3.3.2025, 06:40 Uhr ; 

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