In Argentinien steigen die Corona-Infektionszahlen derart stark an, dass in dem Land seit letztem Wochenende ein neuntägiger Lockdown gilt. Und es werde nicht der letzte Lockdown der Pandemie bleiben, ist SRF-Korrespondent David Karasek überzeugt.
SRF News: Hält sich die argentinische Bevölkerung an die strengen Vorgaben des von der Regierung verordneten Lockdowns?
David Karasek: Die Argentinierinnen und Argentinier machen grösstenteils mit. Die Massnahmen werden kontrolliert, ausserdem sind während des neuntägigen Lockdowns wegen diverser Feiertage nur drei Arbeitstage betroffen. Das scheint für viele machbar zu sein. Auch war allen klar, dass etwas passieren musste: Letzte Woche wurden täglich 30'000 Neuansteckungen und 500 Tote gemeldet. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl gehören diese weltweit derzeit zu den höchsten Zahlen.
Wie konnte es so weit kommen?
Da spielen mehrere Faktoren mit: Die brasilianische Virusvariante breitet sich in ganz Südamerika stark aus, auch im Nachbarland Argentinien. Ausserdem arbeiten 40 Prozent der argentinischen Bevölkerung im informellen Sektor – also unregistriert und ohne Sozialleistungen etwa im Krankheitsfall. Sie müssen also jeden Tag arbeiten, sonst gibt es abends nichts auf den Teller.
Der Winter steht vor der Tür. Man trifft sich wieder vermehrt in geschlossenen Räumen.
Zudem steht in Argentinien der Winter vor der Tür, man trifft sich wieder vermehrt in geschlossenen Räumen. Und: Die Impfungen kommen nicht voran.
Was sind die Probleme beim Impfen?
Wie in vielen weniger reichen Ländern gibt es zu wenig Impfstoff. Derzeit sind offiziellen Angaben zufolge erst knapp fünf Prozent der Menschen vollständig geimpft (zum Vergleich: In der Schweiz sind es derzeit gut 16 Prozent).
Russland hat zu wenig Impfstoff geliefert.
Das Problem: Argentinien ist einmal mehr pleite, deshalb wollten manche Impfstoffhersteller mit dem Land keine Lieferverträge abschliessen. Impfstoff geliefert hat Russland, aber viel weniger als bestellt. Die Impfkrise geht also auf zu wenig Geld und schlechtes Management zurück.
Vor einem Jahr galt in Argentinien einer der strengsten und längsten Lockdowns der Welt. Welche Spuren hat er hinterlassen?
Das Land war schon vor der Pandemie pleite, dann kam der erste Lockdown. Fast die Hälfte der Argentinierinnen und Argentinier leben inzwischen unterhalb der Armutsgrenze, die Zahl der Bedürftigen ist massiv angestiegen. Für viele Menschen ist die Ernährungssituation prekär.
Fast die Hälfte der Argentinierinnen und Argentinier lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Laut Staatspräsident Alberto Fernandez soll jetzt ein Rettungspaket für Unternehmen und Haushalte im Umfang von fünf Milliarden Dollar Linderung bringen.
Gibt es Zeichen für eine Entspannung?
Nein. Die neun Tage werden nicht reichen, um die Situation nachhaltig zu verbessern. Es werden weitere Lockdowns nötig sein. Inzwischen sind die Betten in den Spitälern landesweit im Durchschnitt zu 73 Prozent belegt, die höchste Rate seit Beginn der Pandemie. Die peronistische Regierung will allen Erkrankten, die darauf angewiesen sind, ein Spitalbett zur Verfügung stellen, was für Südamerika sehr aussergewöhnlich ist.
Die neun Tage Lockdown werden nicht reichen.
In Ecuador starben Covid-19-Patienten auf der Strasse, in Brasilien manche beim Anstehen vor dem Spital. In Argentinien soll es nie so weit kommen, das hat die Regierung der Bevölkerung versprochen. Sie hat dabei auch die Parlamentswahlen vom November im Blick, bei denen sie die Regierungsmehrheit behalten will.
Das Gespräch führte Claudia Weber.