In Israel wird gerade Neujahr gefeiert, nächste Woche steht Jom Kippur an. Es sind die höchsten Feste des Jahres – gleichzeitig eskaliert der Krieg in der Region weiter. Wie die Menschen im Land damit umgehen, weiss die Journalistin Gisela Dachs. Sie lebt in Tel Aviv.
SRF News: Die israelischen Feiertage sind normalerweise Anlass für Familienbesuche und -feiern. Ist diesmal etwas anders?
Gisela Dachs: Die Feiertage finden in einer sehr bedrückenden Atmosphäre statt. Man trifft sich, soweit das möglich ist. Der Besuchsradius ist allerdings eingeschränkt: So halten sich die Menschen im Norden Israels angesichts des andauernden Beschusses durch Raketen der Hisbollah aus Libanon derzeit vor allem in den Schutzbunkern auf. Hier über Tel Aviv kreisen ständig Helikopter. Teil der bedrückenden Atmosphäre war auch ein Abendessen der Familien von immer noch in Gaza festgehaltenen Geiseln unter freiem Himmel – an dem ebenjene Angehörigen fehlten.
Viele Israelis haben Ferien über diese Festtage. Können sie überhaupt in die Ferien ins Ausland reisen?
Viele wollen diesmal gar nicht weg, weil man nicht weiss, was zu Hause in der Zwischenzeit passiert. Viele andere sitzen im Ausland fest, weil praktisch alle internationalen Fluggesellschaften ihre Flüge in die Region ausgesetzt haben.
Wer ins Ausland fliegt, sollte sich dort möglichst nicht als Israeli zu erkennen geben.
Zudem gibt es Warnungen, dass die Hisbollah und Iran Israelis im Ausland zur Zielscheibe machen könnten. Wer also dennoch ins Ausland fliegt, sollte sehr genau darauf achten, wohin es geht und dass man sich dort möglichst nicht als Israeli zu erkennen gibt.
Wie gehen die Menschen mit der bedrückenden Situation um? Wünschen sie sich trotzdem ein gutes neues Jahr?
Meist kommt beim Wunsch für ein gutes neues Jahr diesmal noch ein Zusatz im Sinne von: «möglichst ein besseres» oder so ähnlich. Auch hört man den eigentlich normalen Zusatz «fröhliche Festtage» derzeit nur sehr selten. Zugleich bleibt auch die Satire aber nicht aus: So zeigt eine verbreitete Karikatur eine tonnenschwere Person auf einem kleinen Hocker, unter dem ein kleiner Hund lauert. Dabei steht, man solle so stark sein wie der Hocker und so optimistisch wie der Hund. Dies ist ein Versuch, die schwierige Situation mit Humor aufzufangen.
Jom Kippur nächste Woche ist der höchste israelische Feiertag, es ist der Tag der Versöhnung. Wie viel Platz haben Versöhnung und Spiritualität derzeit in Israel?
Traditionell sind es Tage der Einkehr, doch derzeit hat man kaum Zeit, zur Ruhe zu kommen. Die Soldaten kämpfen weiter, es gibt Tote unter ihnen. Trotzdem wünschen sich viele Israelis, dass man die innere Kluft in der Gesellschaft überwindet und zusammensteht. Und so gibt es auch den Appell an die Menschen, die schwierige Zeit gemeinsam durchzustehen.
Das Gespräch führte Raphael Günther.