«Die Wahl von Donald Trump hat nicht nur Fragen für die USA aufgeworfen, sondern für die ganze Welt», sagt Alain Berset, der Generalsekretär des Europarates. «Immer mehr Länder sind geprägt durch tiefe gesellschaftliche Gräben und eine zunehmende Polarisierung.»
Berset sieht einen demokratischen Krebsgang – und blühenden Populismus und Nationalismus. Was Berset diagnostiziert, wird mittlerweile von einer Vielzahl von Forschungs- und Umfrageergebnissen untermauert.
Demokratie in der Krise
Laut Laura Silver vom führenden US-Umfrageinstitut Pew ist vielerorts eine klare Mehrheit unzufrieden mit dem demokratischen System: «Viele fühlen sich weder durch das politische Führungspersonal noch durch die traditionellen Parteien vertreten – selbst in wirtschaftlich prosperierenden, etablierten Demokratien.» Also auch in den USA, in Kanada, in Westeuropa.
Es geht nicht mehr um sachliche politische Differenzen – sondern um fundamental andere Werte.
Gleichzeitig seien die Ansprüche an Regierungen oft weit überzogen. Ebenso die Erwartungen daran, was man selber zugute habe. Entsprechend wird ein Wandel gefordert, der durchaus radikal sein darf. Das Bedürfnis, die politische Führung auszuwechseln, sei so ausgeprägt, dass auch zweifelhafte Figuren gewählt würden, so Silver.
«Es geht zudem nicht länger um sachliche politische Differenzen, sondern um fundamental andere Werte», sagt sie. In den USA betreffe das etwa das Waffentragrecht, die Rolle des Staates, die Frauenrechte, Minderheitenfragen oder die Migration.
Statt Kompromisse ist Kampf angesagt
Dazu kommt: Kompromiss war gestern, heute ist Kampf angesagt. Das erwarten Wählerinnen und Wähler auch von Parteien und Amtsträgern. In erster Linie junge Männer im Westen, so eine Studie des Open Society Forums für Demokratieförderung, zögen eine autoritäre einer demokratischen Führung vor.
Von Trump, aber auch aus seinem Umfeld sind besorgniserregend demokratiefeindliche Äusserungen zu hören.
Professor Staffan Lindberg, dessen Institut an der Universität Göteborg über autoritäre Tendenzen in eigentlich demokratischen Ländern forscht, erkennt einen Normenwechsel: «Was gestern noch unsagbar war, wird heute offen ausgesprochen. Von Trump selber, aber auch aus seinem Umfeld sind besorgniserregend demokratiefeindliche Äusserungen zu hören.» Deshalb zweifelt Lindberg sogar daran, dass die US-Demokratie die zweite Trump-Amtszeit unbeschadet übersteht.
Seit 2010 geht es in Richtung Autokratie
Auch über die USA hinaus ist der Grosstrend deutlich: 45 Staaten weltweit bewegen sich aktuell in Richtung Autokratie. Typische Beispiele dafür sind Ungarn, die Türkei oder Serbien. Nur vereinzelte gehen in die demokratische Richtung, darunter Ministaaten und als einziger gewichtiger Brasilien.
Wenn nicht mal traditionelle Demokratien stramm zu ihren Prinzipien stehen, ist es müssig, den Rest der Welt zu dieser Regierungsform bekehren zu wollen.
Bemerkenswert ist, wie rasch der Krebsgang der Demokratie verläuft. Noch bis um 2010 gab es weltweit mehr Fort- als Rückschritte. Dann änderte sich das radikal.
Joan Hoey, die beim britischen «Economist» den Stand der Demokratie in der Welt untersucht, spricht von einem «gut zehnjährigen Niedergang». Sie sagt auch: «Wenn nicht mal traditionelle Demokratien stramm zu ihren Prinzipien stehen, ist es müssig, den Rest der Welt zu dieser Regierungsform bekehren zu wollen.»
Staffan Lindbergs Datenanalysen deuten nicht auf eine baldige Trendumkehr hin. Im Gegenteil: Die Entwicklung in Richtung Diktatur beschleunigt sich weiter.