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Leben auf Lampedusa mit und neben der Migration
Aus 10 vor 10 vom 19.03.2024.
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Flucht über das Mittelmeer Kein Ort steht symbolischer für die Migration als Lampedusa

Lampedusa ist das Ziel vieler Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen. Für die Insel ein Balanceakt.

Es herrscht Hektik im Hafen von Lampedusa. Die Fischer kehren eben mit ihrem Fang zurück. Eilig werden die Fische, Tintenfische und Calamari auf Eis gepackt und abtransportiert. Bald schon legt die Fähre zum italienischen Festland ab.

Die Menschen müssen gerettet und beschützt werden. Menschen sind Menschen.
Autor: Enzo Billeci Fischer

Und auch der Fang der Gebrüder Billeci muss mit. Die drei Brüder fischen seit Jahrzehnten. Sie kennen die Insel, das Meer – und die Migration. Alle hätten sie während der Arbeit auch schon Menschen gerettet, erzählt Enzo Billeci: «Die Menschen müssen gerettet werden, sie müssen beschützt werden. Menschen sind Menschen. Man legt sich nicht mit dem Leben an.»

Doch die Migration über das Mittelmeer bereitet den Fischern auch Probleme. Die Flüchtlingsboote werden nach einer Rettung auf offener See oftmals ihrem Schicksal überlassen und sinken auf den Meeresboden. Das sei ein ernstes Umweltproblem – und zerstöre Fischernetze, so Piero Billeci.

«Ein neues Fischernetz kostet etwa 4000 Euro.» Dazu verliere man den Fang und den möglichen Gewinn. Das Problem sei seit Jahren bekannt, auch bei der Politik. Aber es passiere so gut wie nichts.  

So viele wie seit Jahren nicht mehr

Vergangenes Jahr sind rund 157'000 Menschen über das Mittelmeer nach Italien geflohen. Es waren so viele, wie seit Jahren nicht mehr. Lampedusa war deshalb oft in den Schlagzeilen. Im September kamen innert 24 Stunden gar mehr als 5000 Migrantinnen und Migranten an. Das Erstaufnahmezentrum der Insel, der sogenannte Hotspot, platzte aus allen Nähten.

Seit Anfang Jahr sind es deutlich weniger Ankünfte. Bis zum 22. März dieses Jahres sind 9479 Menschen in Italien angelandet, letztes Jahr um die gleiche Zeit waren es noch über 20'000. Die Wetterbedingungen sind ein Grund für den Rückgang, ein anderer das Abkommen der EU mit Tunesien. Dieses sieht vor, dass Tunesien stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgeht. Im Gegenzug erhält das nordafrikanische Land von der EU Finanzhilfe.

Das Abkommen ist umstritten, vor allem bei Menschenrechts­organisationen. Für Ministerpräsidentin Giorgia Meloni allerdings ist es bedeutend. Ihre ultrarechte Regierung ist vor 17 Monaten mit dem Versprechen angetreten, die Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Bis heute wenig erfolgreich.

«Es ändert sich zum Schlechteren»

Giusi Nicolini ist Ex-Bürgermeisterin von Lampedusa. In den Jahren von 2012 bis 2017 leitete sie die Geschicke der Insel. Es war eine intensive Zeit, mit besonders vielen Ankünften von Flüchtenden und einem der schlimmsten Bootsunglücke in der Geschichte der Insel und des Landes. «Diese Jahre waren wirklich dramatisch», so Nicolini.

Im Oktober 2013 sank ein Boot mit über 500 Migrantinnen und Migranten vor der Küste Lampedusas. 366 Menschen starben. Die Insel sei dadurch in den Fokus der Weltöffentlichkeit geraten; auch der Papst sei zu Besuch gekommen, um der zahlreichen Opfer zu gedenken, so Nicolini.

Ihre ersten Amtsjahre habe sie damit verbracht, allen zu erklären, wie klein die Insel sei und dass dieser Fleck Erde Infrastruktur brauche, um die vielen Ankünfte zu stemmen. Immerhin, es sei Hilfe gekommen. Und schlussendlich hätten sogar die Einheimischen davon profitiert.

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Giusi Nicolini, Ex-Bürgermeisterin: «Ich schäme mich für Italien»
Aus News-Clip vom 08.03.2024.
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So verfüge Lampedusa heute zum Beispiel über eine 24-Stunden-Gynäkologie oder eine 24-Stunden-Pädiatrie. Doch Nicolini ist konsterniert. «Ich gehörte zu den Optimisten, die gehofft und geglaubt hatten, dass sich nach dem Schiffsunglück 2013 etwas ändern würde. Dass sich die europäische Politik ändern würde.» Doch noch immer komme es zu viel zu vielen Unglücken auf dem Meer. Und jährlich stürben Tausende Menschen beim Versuch, über das Mittelmeer nach Europa zu fliehen.  

Eine ganze Gemeinschaft zusammen

Die Poliklinik auf Lampedusa ist eine erste Anlaufstelle für all jene Migrantinnen und Migranten, die nach ihrer Ankunft auf medizinische Hilfe angewiesen sind. In den Sommermonaten sei es besonders anstrengend, da schlafe man praktisch nie. «Wir sind immer da», sagt der Kardiologe Giorgio Maringhini.

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Giorgio Maringhini: «Wir hatten schon Fälle von Tuberkolose»
Aus News-Clip vom 08.03.2024.
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Die Klinik bekomme aber auch viel Hilfe von den Einheimischen. «Diese bringen Essen und Kleidung und leisten ebenfalls Hilfe.» Als ganze Gemeinschaft – zusammen.

In den Wintermonaten ist es ruhig. Nur wenige Inselbewohner sind in der Klinik – für Kontrollen oder Notfälle. Die Ärztebelegschaft pendelt zwischen der Insel und dem italienischen Festland. Zeit, mal durchzuatmen auf Lampedusa.

80 Prozent leben vom Tourismus

Diese Zeit nutzt auch Hotelier Giandamiano Lombardo, um in seinem Hotel Renovationsarbeiten auszuführen. Lombardos Vater war der Urbegründer des Tourismus auf Lampedusa. Als Schwammhändler habe dieser die ganze Welt bereist und im Ausland gemerkt, was für ein Potenzial seine Heimat habe. So habe er ein kleines Restaurant am Strand eröffnet. Heute besitzt die Familie auch ein Hotel.

Was uns ärgert, ist die Tatsache, dass die Insel in den Medien wie eine überfallene Insel dargestellt wird, obwohl sie es in Wirklichkeit nicht ist.
Autor: Giandamiano Lombardo Hotelier

Rund 80 Prozent der Inselbewohner lebten vom Tourismus, sagt Lombardo. Die Strände seien atemberaubend. Die Saison hier sei allerdings kurz. Die Insel habe ohne Zweifel grosses Potenzial und sei gastfreundlich – den Touristen und den Migranten gegenüber.

Die meisten Ferienreisenden kommen aus Norditalien. Viele liessen sich allerdings von den Migrationsbildern abschrecken, sagt Lombardo: «Was uns ärgert, ist die Tatsache, dass die Insel in den Medien wie eine überfallene Insel dargestellt wird, obwohl sie es in Wirklichkeit nicht ist. Die Einwanderung spürt man in Mailand, Rom, Bologna oder Bern stärker als hier.»

Lampedusa sei ein Ankunftsort, sagt Lombardo. Die Flüchtenden würden nicht lange hierbleiben, sondern nach Sizilien gebracht, wo es Strukturen für ihre Aufnahme gebe.  

Die 20 Quadratkilometer grosse Insel ist für Migrantinnen und Migranten seit Jahren das Tor zu Europa. Über die Jahre hat sich Lampedusa damit arrangiert – mal geht es besser, mal weniger gut. Doch dieser kleine Fleck Erde ist ein Ort der Hoffnung geblieben – für die Einheimischen und die Flüchtenden gleichermassen.

10vor10, 19.03.2024, 21:50 Uhr

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