Er hat schon das erste Talibanregime von 1996 bis 2001 erlebt. Erhard Bauer, Delegationsleiter des Kinderhilfswerks Terre des hommes. Die Taliban haben die Macht in Afghanistan im August 2021 übernommen, noch bevor die letzten amerikanischen Truppen abgezogen waren.
Sie traten moderat vor die Medien, sagten, sie würden die Frauenrechte akzeptieren. Der Ausschluss von Frauen von Universitäten oder das Arbeitsverbot von Frauen in Hilfsorganisationen sprechen nun eine andere Sprache.
Es sind die Taliban 2.0.
Dennoch ist Erhard Bauer überzeugt: Diese Taliban heute sind anders als die vor zwanzig Jahren: «Es sind die Taliban 2.0. Sie sind mit ihrem grossen Sieg mit grossem Selbstbewusstsein aufgetreten, gaben sich tolerant. Erst nach und nach sind die inneren Widersprüche deutlich geworden», sagt Bauer.
Widersprüche bieten Verhandlungsspielraum
Die Verbote der Taliban werden nicht von allen unterstützt. «Es gibt durchaus Gruppen, die in dieser Frage anders denken. Sie sind der Meinung, dass es für die Entwicklung des Landes nötig ist, dass die Frauen dabei eine Rolle spielen.» Diese Widersprüche innerhalb der Taliban bieten einen Spielraum für Gespräche und Verhandlungen.
In den letzten zwei Wochen haben die Hilfsorganisationen erreicht, dass Frauen im Gesundheitsbereich wieder mitarbeiten können. «Wir haben uns ihre Regeln erklären lassen. Wir haben unsererseits erklärt, welche Rolle die Frauen in unserer Arbeit spielen und wie notwendig diese ist.» Nun können Frauen in Kabul oder Herat wieder im Gesundheitsbereich für Terre des hommes tätig sein. Beispielsweise als Hebammen. In der Ostregion ist dies noch nicht möglich.
Sanktionen treffen die Falschen
Um Druck auf die Taliban zu machen, damit Frauen wieder für Hilfsorganisationen arbeiten dürfen, hat die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze die deutschen Hilfszahlungen nach Afghanistan vorläufig ausgesetzt.
Erhard Bauer bezweifelt, ob dieses Mittel die erhoffte Wirkung zeigt oder vor allem der notleidenden Bevölkerung noch mehr schadet: «Man kann zwar sagen: Ihr, die Taliban, seid verantwortlich dafür, dass diese Hilfe von aussen nicht kommt. Aber die Taliban sind nicht die Betroffenen, wenn diese Hilfeleistung eingestellt wird. Das muss ich aus meiner Sicht hier ganz klar sagen.»
Bauer ist überzeugt, dass Schritt für Schritt, mit viel Geduld und langem Atem der Zugang von Frauen in Hilfsorganisationen für bedürftige Frauen und Kinder wieder erreicht werden kann. Er bleibt zuversichtlich: «Das gehört zu unserer Grundausstattung. Wenn wir diese Zuversicht aufgeben, dann sollten wir aufhören, hier zu arbeiten.»