Parallel zu den Grosskundgebungen gegen das rechtsextreme Netzwerk um die AfD in Deutschland sind am Wochenende erstmals auch in Österreich Zehntausende auf die Strasse gegangen. Die erstarkende FPÖ und ihre Verbindungen zur Identitären Bewegung seien die Auslöser, sagt Eva Linsinger, stellvertretende Chefredaktorin beim Nachrichtenmagazin «Profil» in Wien.
SRF News: Warum gehen nach Deutschland auch die Menschen in Österreich gegen Rechtsextremismus auf die Strasse?
Eva Linsinger: Dahinter steckt zum einen sicher ein Nachahmungseffekt. Viele fragten sich in den letzten Tagen, warum in Österreich nichts passiert. Zum anderen finden in Österreich spätestens im September Nationalratswahlen statt. Derzeit führt die extrem rechte FPÖ in allen Umfragen und könnte stärkste Partei werden. Das wird der Bevölkerung allmählich bewusst. Auch das war ein Antrieb, auf die Strasse zu gehen.
Organisiert wurden die Demos von kleinen NGOs, grosse Parteien sprangen teils auf. Warum fehlten die regierende ÖVP und die FPÖ?
Dass die FPÖ mit ihren starken Verbindungen zum rechten Rand nicht mitmachte, ist klar. Die Regierungspartei ÖVP hatte am Freitagabend mit der «Kanzlerrede» eine andere wichtige Veranstaltung. Da wurde erwartet, dass ÖVP-Anhänger vor dem Bildschirm sitzen und ÖVP-Politikerinnen und -Politiker live anwesend sind. Die ÖVP selbst ist nur selten auf Kundgebungen zu finden. Sie hat zwar ihre Haltung gegen Rechtsextremismus bekräftigt, sieht Demonstrationen aber nicht als taugliches Gegenmittel.
Die FPÖ hat Verbindungen zur rechtsextremen Szene. Wie macht sich Rechtsextremismus in Österreich sonst noch bemerkbar?
Die rechtsextremen Delikte sind im Vorjahr um ganze 20 Prozent angestiegen. Die Anti-Corona-Demonstrationen waren eine Art Wiederbelebungsprogramm für den latent immer vorhandenen Rechtsextremismus. Zugleich befeuerte der Israel-Gaza-Krieg die antisemitischen Ausfälle. Auch die jüngste Demo in Wien wurde von Rechtsextremen gestört, die vom Dach eines Parlamentsgebäudes ein Transparent «Für Remigration» entrollten.
Mit Martin Sellner von den Identitären ist ein Österreicher im geheimen Netzwerk in Deutschland dabei. Wie wird das in Österreich diskutiert?
Sehr hitzig, zumal sich Deutschland gar ein Einreiseverbot gegen Sellner überlegt. Er ist seit Jahren eine der auffälligsten Figuren der rechtsextremen Szene. Er hat die Identitäre Bewegung mitgeleitet, hatte Kontakt zum Attentäter von Christchurch in Neuseeland und pflegt enge Kontakte nach Russland. FPÖ-Parteichef Kickl sieht die Identitären heute als NGO, während die FPÖ vor vier Jahren noch auf Distanz ging.
Welche Rolle spielen die Akteure in Österreich innerhalb der europäischen Rechten?
Eine führende Rolle. Sie sind stimmenmässig sehr stark und haben eine lange Tradition. In Österreich begann der Aufstieg der Rechtsextremen schon Mitte der 1980er-Jahre. Dadurch verfügen sie heute über sehr viel Geld: Sie sind im nationalen Parlament und in mehreren Landesregierungen und profitieren von der Parteienförderung.
Zudem haben die Rechtsextremen über die Jahre ein Parallel-Medienimperium aufgebaut. Die Kanäle werden auch in benachbarten Staaten wie Deutschland stark abonniert. AfD-Mitglieder und -Mitarbeitende werden von der FPÖ in Medienarbeit geschult. Dazu kommen die engen Kontakte zu Russland. Es hat in Expertenkreisen nicht überrascht, dass Sellner beim deutschen Geheimtreffen in Berlin eine führende Rolle spielte.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.