Am 10. Januar wollen sich Vertreter der USA und Russlands in Genf zu Gesprächen treffen. Zwei Tage später sind Gespräche zwischen der Nato und Russland geplant. Dabei geht es um die angespannte Situation rund um die Ukraine. Russland hat unweit der Grenze Soldaten zusammengezogen. Die USA halten eine Invasion für möglich. Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent von Radio SRF, hat nur geringe Hoffnung, dass sich die Parteien auf etwas einigen werden.
SRF News: Wie hoch sind die Erwartungen an die Gespräche?
Fredy Gsteiger: Offen gestanden überhaupt nicht hoch. Die Positionen sind sehr weit voneinander entfernt. Es ist sicher gut, dass die beiden Grossmächte miteinander reden. Aber: Seit dem Gipfel von Biden und Putin in Genf taten sie das schon zweimal, ohne grosse Ergebnisse. Man kann zwar immer sagen, «reden ist besser als schiessen». Und es gibt in Gesprächen immer zumindest die Chance, Zeit zu gewinnen und sich vielleicht doch anzunähern.
Der Westen hat nichts zu bieten, was für Russland attraktiv genug wäre, um einzulenken.
Aber das Hauptproblem ist, dass Russland Maximalforderungen bezüglich der Ukraine stellt; Forderungen, die für den Westen, die USA unerfüllbar sind. Gleichzeitig hat der Westen nichts zu bieten, was für Russland attraktiv genug wäre, um einzulenken. Und man weiss in Moskau auch, dass Sanktionsdrohungen verbal zwar hart klingen, aber keine massiven Einschränkungen zu erwarten sind.
In welchen Bereichen sind Fortschritte möglich?
Auf dem zentralen Konfliktfeld Ukraine sind keine möglich – eher auf Nebenschauplätzen, mindestens momentan, etwa bei der Rüstungskontrolle und der Abrüstung. Es könnte Diskussionen geben über eine Verlängerung des Langstrecken-Atomraketen-Abkommens New Start, über die Rettung des Mittelstrecken-Abkommens INF, oder darüber, das Open-Sky-Abkommen, das gegenseitige Überflüge erlaubt, wieder in Kraft zu setzen.
Die Frage ist aber, ob Moskau überhaupt bereit ist, darüber zu reden, oder ob es darauf beharrt, seine Forderungen im Zusammenhang mit der Ukraine und der Nato-Osterweiterung durchzusetzen.
Wird es keine Einigung zwischen der USA und Russland geben?
Eine der Hauptforderungen Russlands, nämlich dass die Ukraine nie Nato-Mitglied werden dürfe, kann der Westen aus grundsätzlichen Überlegungen nicht akzeptieren. Damit spräche der Westen der Ukraine ihre Souveränität ab. Das Land hätte dann nicht mehr die Wahl, seine Allianz frei zu wählen. Das zweite Problem ist die Stationierung von Nato-Truppen und -Waffen in Osteuropa.
Ein Mitspracherecht Russlands würde innerhalb der Nato eine Zweiklassengesellschaft schaffen.
Wenn man Russland ein Mitspracherecht gäbe, ob nun in Polen, im Baltikum oder in Rumänien Waffen und Truppen stationiert würden, würde das in der Nato eine Zweiklassengesellschaft schaffen aus Ländern, die besser und die weniger gut verteidigt würden von der Nato. Auch das ist eine inakzeptable Forderung für den Westen.
Könnte sich die Lage an der ukrainischen Grenze durch die Gespräche in Genf und im Nato-Russland-Rat verbessern?
Könnte, ja. Doch das ist doch eher eine theoretische Möglichkeit. Manchmal erlebt man tatsächlich in diplomatischen Gesprächen eine eigene Dynamik. Man findet plötzlich gemeinsames Terrain. In diesem Fall ist es aber sehr unwahrscheinlich, weil die Gräben einfach wirklich tief sind. Deshalb besteht im Westen die Befürchtung, dass Russland bereits jetzt das Scheitern der Gespräche einkalkuliert hat, und wenn sie tatsächlich scheitern, sich sozusagen frei fühlt, in die Ukraine einzumarschieren – mit der Begründung, man habe ja verhandelt und das habe nichts gebracht.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.