Deepak Ray kennt sich aus mit Hunger: Schliesslich gibt es in seinem Heimatland Indien sehr viele unterernährte Menschen. Und auch wenn der Experte für globale Ernährungssicherheit inzwischen an der Universität Minnesota im Norden der USA forscht: Das Thema Hunger lässt ihn nicht mehr los.
«Wir haben uns bei unserer Forschung die Frage gestellt, ob Länder genügend Kalorien produzieren, um ihre Bewohnerinnen und Bewohner satt zu machen», sagt Ray. Dazu haben er und sein Team die zehn wichtigsten Agrarrohstoffe wie Mais, Weizen oder Sojabohnen über Jahre analysiert.
Diese Pflanzen produzieren genügend Kalorien für alle.
Die ernüchternde Erkenntnis: «Diese Pflanzen produzieren genügend Kalorien für alle», sagt Ray, «über die Jahre sogar immer mehr. Aber die meisten dieser Kalorien werden nicht genutzt, um arme Leute satt zu machen, sondern um die Bedürfnisse einer wachsenden Mittel- und Oberschicht zu stillen. Indem daraus Fleisch oder Biosprit produziert wird.»
Kriegsbedingte Ausfälle kompensieren
Angesichts der drohenden globalen Hungerkrise stösst das vielen sauer auf. Die Washingtoner Denkfabrik World Resources Institut etwa hat nun gefordert, nur noch halb so viel Getreide wie bisher in die Biosprit-Produktion zu stecken. Dadurch könnten alle kriegsbedingten Exportausfälle von Weizen, Mais und Roggen aus der Ukraine und Russland kompensiert werden.
Wissenschaftler Ray hält das für Wunschdenken. Denn seine Analysen zeigen, dass tatsächlich immer weniger Mais, Weizen oder Sojabohnen direkt auf dem Teller landen. 2030 dürfte es nur noch ein Drittel der globalen Ernte sein. «Man kann viel mehr Geld verdienen, wenn man mit dem Getreide Biokraftstoffe produziert», sagt der Wissenschaftler zur Begründung.
Biosprit aus Klimaschutz-Gründen subventioniert
Die Politik ist nicht unschuldig an dieser Entwicklung. Denn Benzin mit einem Biosprit-Anteil von zehn Prozent wird von den USA und der EU aus Klimaschutz-Gründen subventioniert.
In den USA landen inzwischen 40 Prozent der Maisernte im Tank. Dieser Mais fehlt dann auf dem Teller. Den einmal eingeschlagenen Kurs angesichts der akuten Ernährungskrise zu ändern, dürfte kaum möglich sein, meint Wissenschaftler Ray.
Auch Pascal Zumbühl rechnet nicht mit einer Trendwende. Der Ökonom hat für die Credit Suisse die globale Ernährungssituation analysiert. Und ist dabei auf einen interessanten Zusammenhang zwischen Nahrungsmittel- und Energiepreisen gestossen. Sein Fazit: «Ein höherer Ölpreis erhöht den Anreiz, Getreide für Biokraftstoffe zu verwenden, weil es einfach billiger ist.»
Ein höherer Ölpreis erhöht den Anreiz, Getreide für Biokraftstoffe zu verwenden, weil es einfach billiger ist.
Schon bei der letzten grossen Ernährungskrise 2008 war der Ölpreis auf Rekordniveau. Weil Biosprit im Verhältnis billiger war als fossile Kraftstoffe, wurde deutlich mehr Biosprit produziert. Das trieb den Preis für den Biosprit-Rohstoff Mais ausgerechnet während jener Hungerkrise um bis zu 50 Prozent nach oben, wie Studien zeigen.
Immer mehr Mais für die Biokraftstoff-Produktion zu verwenden, das sei ein «Verbrechen gegen die Menschlichkeit», kritisierte der UNO-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung damals.
Auch angesichts der aktuellen Krise ist der indische Wissenschaftler Ray zutiefst besorgt. Schon vor dem Ukraine-Krieg sei es unwahrscheinlich gewesen, dass der globale Hunger, wie von der UNO geplant, bis 2030 besiegt werde, sagt er. Der Ukraine-Krieg habe nun alles noch viel schlimmer gemacht.